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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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wahrscheinlich glücklich preisen. Und jemand anderes als ich, jemand, der tüchtig war und keine Selbstzweifel kannte - jemand, der nicht erst zwei Tage zuvor einem Patienten einen Zentralvenenkatheter in die Arterie statt in die Vene eingeführt hatte -, so ein Jemand hätte dieses Erlebnis als Folge von Schlafentzug oder göttlicher Vorsehung ad acta gelegt. Aber ich nahm diese traumatischen Ereignisse als das, was sie waren: Zeichen. Nach dem Beinahe-Mord an zwei Patienten in einer Woche sollte ich zukünftigen Patienten meine todbringenden Dienste ersparen.
    Ich rief nicht meine Eltern an oder besprach mich mit Kollegen. Ich lief auch nicht zu dem einzigen Chirurgen in dieser Klinik, der ein Herz und eine Tochter in meinem Alter hatte. Erschrockene Blicke ignorierend ging ich, blutbespritzt wie ich war, in den Geschenkeladen in der Eingangshalle und besorgte mir eine Schachtel naturfarbenes Briefpapier. Der Verkäuferin, die sofort begriff, dass es um Leben und Tod ging, versprach ich, später zu bezahlen. »Nehmen Sie, was Sie brauchen«, sagte sie und verschanzte sich hinter der Registrierkasse, »nehmen Sie’s und gehen Sie.«
    Ich wusch mir die Hände, fand einen Tisch und etwas zum Schreiben. Mit zittriger Schrift, wie es sich für eine Frau unter Schock geziemt, schrieb ich:
     
    Hiermit kündige ich fristlos.
Hochachtungsvoll
Dr. Alice Jane Thrift

11
    WAS JETZT?
    Ich schwankte nach Hause, ließ mir ein Bad einlaufen, schlief in der Wanne ein und wurde durch heftiges Hämmern an der Badezimmertür hochgeschreckt. Wie üblich brauchte ich ein paar Sekunden, um mich an den Rand des Bewusstseins vorzukämpfen und zu erinnern, wo ich mich befand. »Leo?«, ächzte ich.
    »Alles in Ordnung?«
    Ich zog den Stöpsel heraus und stand auf. Ich zitterte und weinte obendrein.
    »Bist du krank? Kannst du die Tür aufmachen?«
    »Ich bin nicht krank. Komm nicht rein. Ich steige jetzt aus der Wanne. Ich bin eingeschlafen. Ich habe gekündigt.«
    Eine Weile war es still, dann fragte er, ob ich »gekündigt« gesagt hätte.
    Ich zog meinen uralten Morgenmantel an - gestepptes, schmutzigweißes Polyester mit einem Muster aus kleinen blauen Vergissmeinnicht -, wischte mir das Gesicht am Ärmel ab und öffnete schließlich die Tür. Er streckte die Arme aus, und ein verschrumpeltes, gescheitertes, schlaffes, feuchtes, medizinisch hochriskantes Etwas versank darin. »Es blieb mir nichts anderes übrig«, sagte ich. »Ich habe mir heute einen fürchterlichen Patzer geleistet, zusätzlich zu einem ziemlich schlimmen Patzer am Montag, von dem ich dir erst gar nichts gesagt habe, weil ein Kollege ihn entdeckt und noch rechtzeitig ausgebügelt hat -«
    Ich folgte seinem Blick auf das Wasser in der Wanne und mein linkes Handgelenk.
    »Mach dich nicht lächerlich«, sagte ich.
    Er führte mich ins Wohnzimmer und setzte sich zu mir aufs Sofa. »Jetzt erzähl mal, was passiert ist.«
    Mit dem höchstmöglichen Maß an Einfachheit und Selbstanklage schilderte ich ihm, wie ich mit dem Bauchdeckenhalter in der Hand eingeschlafen war.
    Leo schnappte nicht nach Luft, sah nicht entsetzt drein, reagierte kaum. » Und ?«
    »Zuallererst musst du wissen, dass die Patientin übergewichtig war und der Operationsbereich ziemlich tief lag. Ich konnte nichts sehen, und mir war unendlich langweilig. Außerdem hatte ich nächtelang nicht geschlafen. Als ich wieder aufwachte - Chaos.«
    Leo blinzelte und fragte ruhig: »Ist die Patientin gestorben?«
    »Nein, aber -«
    »Was wurde operiert?«
    »Die Gallenblase. Aber warte -«
    »Ich weiß schon, was du sagen willst, der Chirurg hat irgendwo reingeschnitten.«
    »Den gemeinsamen Gallengang und die Leberarterie. Aufgeschlitzt.«
    »Welcher Chirurg?«
    Ich spie es förmlich heraus. »Hastings. Charles.«
    »Verstehe«, sagte Leo und ließ sich nach hinten fallen.
    »Zuerst schrie er: ›Raus, raus! Machen Sie, dass Sie rauskommen. Und lassen Sie sich mit Ihrer Dumpfbacke bloß nicht mehr bei mir im OP sehen, Fräulein.‹ Aber dann sagte er: ›Nein. Sie bleiben schön hier und hören mir zu, denn diesen Fehler werden Sie nie wieder machen.‹«
    »Genau so? In diesem Ton?«
    »Ja. Nur schlimmer - lauter, gemeiner. Ich sah und hörte nichts mehr. Ich klammerte mich an diesen Bauchdeckenhalter, als ginge es um mein Leben, als wäre ich daran festgefroren, stundenlang, wie mir schien. Und als er endlich aus dem OP stelzte, und ich hingehen konnte, wo ich wollte, tat ich es. Endgültig.«
    Ich

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