Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Mutter.«
»Alice war einmal bei uns zum Abendessen«, erklärte Leo. »Das Selbstwertgefühl meiner Mutter ist auch nicht an ihren Einsatz am Herd gebunden, leider hält sie das trotzdem nicht vom Kochen ab.«
»Es hat sehr gut geschmeckt«, sagte ich.
»Alice ist nicht heikel«, schaltete Ray sich ein. »Sie isst jeden Tag in der Kantine.« Er zwinkerte mir zu. »Und hin und wieder ein Riesensandwich.«
»Jackie kocht sehr oft«, sagte Henry. »Sie ist nur bescheiden.«
»Henrys Frau hat einen Kochkurs gemacht«, verkündete Jackie. »Ich meine, sie hat richtig Stunden genommen, bei dieser Frau im Newton Centre, die Anwaltsgattinnen beibringt, wie sie Cocktailpartys für die Kanzleien ihrer Männer aufziehen müssen.«
»Na, na«, rügte Henry.
»Was ist daraus geworden?«, fragte Ray.
»Wir haben uns scheiden lassen«, erwiderte Henry.
Ray wackelte mit dem Zeigefinger zwischen den beiden Tischenden hin und her.
»Er will wissen, ob ich die Ehe zerstört habe«, dolmetschte Jackie.
»Nein«, war Henrys knappe Antwort.
»Tut mir Leid«, sagte Ray. »Ich habe nur gefragt, weil ich selber Witwer bin und immer gern weiß, was mit den Frauen anderer Männer passiert ist.«
Meredith fragte Ray, wann er seine Frau verloren habe.
»Vor einem Jahr.«
»Ein Jahr und ein paar Monate«, sagte ich.
»Krebs?«, fragte Meredith.
»Autounfall.«
Alle murmelten Beileidsbezeugungen. Meredith fragte, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen waren.
»Zum Glück nicht«, antwortete Ray.
»Warum ›zum Glück‹?«, wollte Leo wissen.
»Weil die ihre Mutter verloren hätten! Sie wären jetzt mutterlos, und ich die ganze Zeit auf Achse. Wer braucht so was?«
»Rays Frau war ziemlich jung«, sagte ich. »Sie waren noch nicht lang verheiratet.«
» Wie jung?«, fragte Meredith.
»Achtundzwanzig, als sie starb.« Er wiegte seinen Handteller. »Vielleicht neunundzwanzig.«
»Statistisch gesehen«, meldete sich Henry wieder, »nicht, dass das heutzutage noch jemand kümmert, aber das ideale Alter, um Kinder zu kriegen, ist vierundzwanzig. Rein danach, was am sichersten für Mutter und Kind ist.«
»Meine Mutter war neunzehn, als sie mich gekriegt hat«, sagte Ray. »Und ich war ihr zweites.«
»Meine Mutter war sechzig, als sie mich kriegte«, sagte Leo, und wir lachten alle.
Mit anderen Worten, es war ein gelungener Abend. Mir gefiel besonders, dass Meredith ernst und abwesend war. Denn so war zur Abwechslung einmal nicht ich die Schlaftablette in der Runde. Wir tranken Rotwein zur Ente, nur Meredith legte jedes Mal die Hand über ihr Weinglas, wenn Henry ihr mit der Flasche zu nahe kam.
»Verzeihung«, sagte unser Gastgeber. »Ich vergess es immer wieder.«
»Bereitschaft?«, fragte ich.
»Oder Abstinenzlerin?«, tippte Ray.
»Vorübergehend«, antwortete Meredith.
Jackie wandte sich mit einer Drehung ihres ganzen Körpers an Ray und fragte: »Und Sie Ray, wie haben Sie Alice kennen gelernt? Sicher nicht so, wie man sich sonst so kennen lernt - bei der Arbeit, beim Getränkeautomaten, in der Kantine.«
»Wir haben uns tatsächlich im Krankenhaus kennen gelernt.« Er tippte sich an einen Nasenflügel. »Wegen diesem Zinken. Ich war am Überlegen, ob ich mir den verschönern lassen soll, und sie war an diesem Tag die Dienst habende Ärztin.«
»Na ja«, murmelte ich.
»Du warst auf jeden Fall die, mit der ich gesprochen habe.« Er griff nach der Schlagsahne und häufte noch einen Klecks auf seinen Nachtisch - eine Art Schokokuchen. »Und sie hat’s mir ausgeredet. Brauchte nicht länger als zwei Minuten. Ich ging hinaus und dachte: Vielleicht bin ich ja doch nicht so abstoßend.«
Er sah sich nach Bestätigung um. Jackie sagte: »Das zeugt von einer vernünftigen Einstellung, vor und hinter dem Schreibtisch. Schönheit ist Charaktersache.«
»Das hat mein alter Herr auch immer gesagt«, bestätigte Ray. »Beim ihm war’s natürlich der reine Eigennutz, weil gegen seine Nase war meine ein Näschen.«
Auf einmal sagte Meredith: »Ich versuche nicht, hier etwas zu vertuschen. Und ich spiele bestimmt nicht die Schamhafte.«
»Häh?«, sagte Ray.
»Das mit dem Wein.« Sie lächelte bescheiden. »Dass ich nicht trinke.«
»Meredith -«, setzte Leo an.
»Einige von Ihnen wissen es, und der Rest hat sich’s wahrscheinlich gedacht« - breites, zufriedenes Lächeln -, »ich bin schwanger.«
»Meeensch. Ich nicht«, sagte Ray. »Ich hab mir gar nichts gedacht.«
»Ich auch nicht«, schloss ich mich
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