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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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auftreiben.«
    »Jawohl«, bekräftigte der Priester.
    »Wir sind in etwa einer Stunde wieder zurück, okay?« teilte Dr. O’Hanrahan eher mit, als daß er fragte. »Und dann reden wir über viele Mysterien der Einen Wahren Kirche, hm?«
    Lucy nickte betäubt. »Ja, schon okay. Ich setze mich zu den anderen.« Lucy ging zurück in den getäfelten Raum, in dem sie zuvor ihre Drinks genommen hat ten, und stützte sich mit der Hand an der Wand ab. Zuviel Alkohol. Früher hatte sie durchaus einiges vertragen, in den ersten Studentenjahren, aber seit sie fünfundzwanzig war, hatte sie das Trinken fast auf Null reduziert. Erstens schlug sich Alkohol bei ihr sofort auf den Hüften nieder, und das war Grund genug. Das zweite Motiv für ihre Abstinenz lag darin, daß ihr Vater seit seiner Pensionierung ein noch stärkerer Trinker geworden war. Nicht direkt ein Alkoholiker, nahm sie an, weil er nie betrunken umkippte, aber er trank regelmäßig reichlich, und das einzige, was schlimmer war als Mr. Dantan nach ein paar steifen Drinks – abscheulich, gehässig, überkritisch, zynisch, missbilligend –, war ein nüchterner Mr. Dantan.
    Verschiedene Episoden schossen Lucy durch den Kopf: ein Verkehrsstau, eine Familienfeier oder ein Elterntag in St. Eulalia, sie erinnerte sich, wie vorsichtig ihre Geschwister und ihre Mutter um Dad herumgetanzt waren, denn eine falsche Bemerkung hätte die Explosion bedeutet, das Streichholz am Benzintank, das eine Szene heraufbeschwören und sie alle demütigen würde. Ihre Mutter pflegte ihren Vater in solchen Momenten schleunigst zu einem Abstecher in die Kneipe zu bewegen und dann heimzubringen; dann wich der Druck. Genauso war er, wenn es um sein Essen ging. Es stand noch nicht auf dem Tisch, wenn er um fünf Uhr vom Viehhof heimkam? Sein Zorn entlud sich, ein Schwall von Beschimpfungen ergoss sich, Tiraden übe r die Unfähigkeit Mrs. Dan tans und seiner Kinder; niemand außer ihm leiste irgendeine richtige Arbeit, niemand außer ihm trage etwas bei … Dann, wie ein dumpfes Tier, wurde er abgefüttert, und dann ging es ihm wieder gut.
    Jetzt, da ihr Vater in Rente war, war er nicht mehr nur abends, sondern den ganzen Tag eine Plage im Haus. Er kümmerte sich um alles und »überwachte« alles, erklärte, angesichts der Nichtswürdigkeit seiner Familie sei es kein Wunder, daß nichts getan werde; Dank sei Gott im Himmel, daß er nun daheim sei, um die Dinge ins Lot zu bringen. Ich habe es niemals auch nur für einen Sekundenbruchteil bereut, dachte Lucy, daß ich aus diesem Haus in die Kimbark Street gezogen bin.
    Vierzig Minuten verstrichen.
    Nach einigem Small talk und Unterhaltungen mit den anderen, die weder an ihrem Leben noch an ihrer Doktorarbeit interessiert schienen, war Lucy sicher, daß Dr. O’Hanrahan sich abgesetzt hatte. »Dr. White
    stone«, fragte sie, »hat Dr. O’Hanrahan Ihnen gesagt, wohin er und Pater Keegan gegangen sind?«
    Dr. Whitestone sah sie gequält an, und Lucy Schloss aus diesem Blick, daß das Gerücht, sie sei Dr. O’Hanrahans Geliebte, dank Pater Beaufoix’ Liebenswürdigkeit die Runde gemacht hatte.
    Aber er antwortete: »Diese Burschen beenden diese Veranstaltung immer mit einem Besuch in der Turf Tavern.«
    Lucy ließ sich die Adresse sagen, knöpfte ihren Mantel zu und ging hinaus in den Nieselregen und unter der Imitation der Seufzerbrücke hindurch, die sich über die mittelalterliche Straße zum New College, gegründet 1379, spannte. Lucy machte eine Kehrtwendung und sah Studenten, die sich eine Gas-se hinunterdrängten, die keine zwei Meter breit war. St. Bridget’s Passage stand auf dem Straßenschild.
    Sie ging die Gasse ebenfalls hinunter, vorbei an einer Straßenlampe, die perfekt in eine viktorianische Sherlock-Holmes-Kinoszenerie gepasst hätte, und als sie sich zur Seite wandte, kam die Turf Tavern am Fuß eines sanften Hügels in Sicht, umgeben von den Rückseiten Oxford er Stadthäuser und Collegegebäu de. Das Pub war in einem Fachwerkgebäude aus dem
    13. Jahrhundert untergebracht, der Gastraum keine zwei Meter hoch; vor dem Pub hatte man Biertische und Stühle aufgestellt, auf denen sich Studenten an diesem kühlen Frühsommerabend vor prasselnden Feuern zusammendrängten. Der Feuerschein warf gespenstische, heidnische Schatten auf das graue, verwitterte Gestein der Stadtmauer, die den Hof begrenzte. Lucy hatte das Gefühl, die Erinnerung an ein vergangenes, früheres Leben zu spüren, vielleicht in einem Feldlager Alfreds, und am

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