Der dreizehnte Apostel
Kalorien, ja?« Er Biss glücklich in eine Zwiebel und verspeiste sie mitsamt dem grünen Röhrchen. O’Hanrahan verzog das Gesicht, fast wurde ihm wieder übel. »So nehme ich ganz viel ab.« Wieder klopfte der Fahrer sich auf den Bauch. »Für meine junge Frau, ja?«
O’Hanrahan lächelte. »Sie haben mehr als eine?«
»O ja, ich habe drei, und die neue ist sehr, sehr jung.« Lucy dachte nach über die Aussicht, als dritte Frau dieses Mannes verschachert zu werden. Wie O’Hanrahan und sie diskutiert hatten, war das die muslimische Lösung für Scheidungen und zerbrochene Familien. Ein Mann durfte bis zu vier Frauen haben, wenn er es sich leisten konnte, aber er musste alle gleich behandeln und der Frau, die durch eine andere ersetzt wurde, ein Haus kaufen. O’Hanrahan hatte erzählt, daß es viele Lieder und Geschichten von Frauen gab, die junge Frauen in ihr Geschäft lockten, damit sie ihre Männer heirateten, so daß die ältere ein Haus bekam, während sie ihre ehelichen Pflichten glücklich an eine jüngere abtrat. Wenn die ältere, erste Frau einmal in ihrem eigenen Heim und unbeobachtet war, hatte auch sie die Chance, sich schadlos zu halten. Eine konservative Gesellschaft, ja, aber keineswegs eine sexfeindliche, puritanische.
Lucy riss sich aus ihren Gedanken, als der Fahrer ihr einen halb zerkauten Lauch vor die Nase hielt. »Wollen Sie?«
»La, shukran«, erwiderte sie. Sie hatte schnell gelernt, dankend abzulehnen.
»Sie ist sehr, sehr jung, Ihre Frau«, sagte der Fahrer. »Sie ist meine Tochter«, antwortete O’Hanrahan, der in der Laune war, ihre Posse zu variieren. »Hat sie einen Mann? Ich habe fünf Söhne!«
Wieder sagte Lucy La, shukran. Sie stellte sich vor, daß seine fünf attraktiven jungen Teufel eines Tages ebenso kugelrund sein würden wie der Vater.
An der Universität stiegen Lucy und O’Hanrahan aus, und der Professor bezahlte den Fahrer, der auf sie warten und sie zurückfahren wollte. »Aber es kann Stunden dauern«, warnte O’Hanrahan. Der Fahrer zuckte die Achseln. Besser ein sicherer Fahrgast in zwei Stunden, als Benzin vergeuden, indem man ziellos herumfuhr. Wie vereinbart, erwartete sie Dr. Ibrahim Mehmet, vielleicht der letzte international geachtete sudanesische Philologe, früher Mitglied in der Bruderschaft der Akoluthen, bevor er von Cambridge zurück an die Universität von Khartum ging, um diese Einrichtung vor der sharia und der Welle des islamischen Fanatismus zu retten, die in seinem Heimatland an die Stelle des unabhängigen Denkens trat.
Wie hatte der arme, über siebzigjährige Dr. Mehmet diese Jahre verbracht?
Aufgewachsen mit Geschichten seines Großvaters, der mit dem Mahdi gekämpft hatte, hatte er gesehen, wie die Kolonialmächte 1952 das Land verließen, hatte getanzt und die Unabhängigkeit gefeiert, um anschließend zu erleben, wie sein Land in einen Bürgerkrieg stürzte un d die gewählten Führer von Mili tärdiktatoren mit protzigen Orden auf der Brust ausgeschaltet wurden. In den siebziger Jahren hatte es einmal kurz Hoffnung gegeben, als General Jafaar al-Numeiri, Sudans Nasser, an die Macht kam. Ein kurzer Flirt mit Investitionen, massiver künstlicher Bewässerung und Landreform – aber wie alle Projekte in diesem für Afrika verhängnisvollen Jahrhundert scheiterten auch diese, wurden zu einer Peinlichkeit und machten das Land zum Synonym für hoffnungslose afrikanische Rückständigkeit … Und so kamen die Moslems an die Macht und zwangen den Christen und den Stammesvölkern im Süden das islamische Gesetz auf. O’Hanrahan fühlte mit Dr. Mehmet: einen ersten Geschmack von Unabhängigkeit gekostet zu haben, in Europa gelebt und gelehrt und die Hoffnungen zurück in sein Land gebracht zu haben – und dann sehen zu müssen, wie das finstere Mittelalter wiedererstand mit den alten Schlachtrufen aus dem 7. Jahrhundert: Tod den Ungläubigen! Dann die Hungersnöte und der sich hinziehende Bürgerkrieg – allenthalben Tod und Verwüstung.
O’Hanrahan blickte seinem alten Bekannten in die Augen und sah darin die Sorgen, er sah die Furchen im Gesicht eines Mannes, der den Kummer des Kontinents getragen hatte. Sie umarmten einander und tauschten arabische Segenssprüche aus:
»As-salaamu ’alekum«, beendete O’Hanrahan die Kaskade der guten Wünsche.
»Wa ’alekum as-salaam wa rahmatu ’llahi«, erwiderte Dr. Mehmet, küsste O’Hanrahan die rechte Hand, gerührt über das Wiedersehen. Und nachdem Lucy vorgestellt und gepriesen
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