Der dritte Berg
Dasgupta vom Research Centre for Geography and Himalayan Studies sein kann, und zwar in Begleitung einer hübschen, sehr jungen, splitternackten Dame, bei der es sich bestimmt nicht um seine Frau handelt;
zahllose detaillierte Satellitenbilder der Nordregion von Sikkim einschließlich GPS -Daten;
mehrere ausgedruckte Artikel zum Thema Zellbiologie.
Ich schiebe diese Funde beiseite und ziehe, mit noch immer nervösen Fingern, die beiden Notizbücher zu mir heran. Mit ihnen setze ich mich auf den Boden. Christian notiert alles ihm wichtig Erscheinende in diese Bücher. Später tippt er die Notizen in sein Notebook und archiviert sie auf einem Datenträger. Damit der Menschheit kein einziger genialer Gedanke verlorengehe. Ich blättere. Die Notizbücher stammen aus den letzten zwei Wochen, zum überwiegenen Teil umfassen sie Christians Aufenthalt in Indien. In diesen Notizen (noch niemals zuvor habe ich Christians persönliche Aufzeichnungen gelesen) sind nicht nur Ereignisse beschrieben. Sie sind überdies vollgestopft mit Gedanken, Stichwörtern, Statements, wissenschaftlichen Materialien.
Bevor ich aber geordnet zu lesen anfangen kann, höre ich Stimmen. Ich springe auf, laufe zur Tür und lege mein Ohr an das Türblatt. Christian kommt. Er spricht mit jemandem im Treppenhaus. Es ist der graue Diener. Ich laufe rasch wieder zurück und lasse meine Augen durch eines der beiden Notizbücher streifen. Christians Stimme nähert sich nicht. Eine andere, weibliche Stimme kommt hinzu.
Bei meiner Lektüre schnappe ich unter diesen verschärften Bedingungen jetzt nur Bruchstücke auf. Oft sehe ich Maggies Namen. Dieser Gelehrte aus Kathmandu, Pandit Geomli, kommt mehrere Male vor. Er besitzt eine kleine Bibliothek mit alten Manuskripten auf Palmblatt und Birkenrinde.
Diese von Mäusedreck besudelten Manuskripte in der Bibliothek von Pandit Geomli, dem Hüter des Neunten Buches!, dabei doch er so nett, vor allem wenn mit gutem Alkohol befüllt, jawoll, bestimmt hat eine Menge dieser Manuskripte noch niemals jemand zu Gesicht bekommen – sie haben jahrhundertelang einfach so dagelegen, wie eine Frau dagelegen und gewartet. Sie haben ihre Palmblätter auseinandergespreizt und haben mich eingelassen!
Das neue Neunte Buch! Maggie hat mich zu ihm geführt. Bei ihr, der MUSE , bin ich auf den entscheidenden Gedanken gestoßen. Ja, beim Ficken.
Drei Wochen lang, oder sind es vier gewesen?, habe ich gelesen, übersetzt, den Pandit bezirzt, mit Whiskey bestochen, am Abend ein Umtrunk, und über zweihundert Handschriften später war es da – Euphorie und Irrsinn, wie kann man das anders nennen, und die musste ich vor dem Pandit verbergen, tagelang!!!
Dann der Kommentar von Virachara Bhatta, NIEMALS ist dergleichen niedergeschrieben worden.
Man hat es sich allenfalls in Ohren geflüstert.
Ich habe verstanden, annähernd verstanden. Scheint es doch, Christian habe eine funkelnagelneue Handschrift des neunten Buches des Rigveda entdeckt. Und zwar eine, die von den bekannten Handschriften abweicht. Bei den Einlegeblättern mit handgeschriebenem Sanskrit muss es sich dann um Abschriften aus dieser neuen Palmblatthandschrift handeln, um Abschriften von Texten, die man in der gängigen Version des neunten Buches des Rigveda vergeblich suchen wird. Die Entdeckung einer solchen neuen Handschrift des Rigveda allein wäre eine wissenschaftliche Sensation für sich. Es ist beinahe, als entdecke man eine neue Schriftrolle der Bibel aus den ersten christlichen Jahrhunderten, und diese beschere uns bisher unbekannte Worte Jesu, oder alternative Schilderungen seines Lebens. Und dazu ist Christians Manuskript noch mit einem Kommentar versehen. Das ist bei alten indischen Texten zwar üblich, doch dürfte dieser Kommentar eher von der außergewöhnlichen Sorte sein.
Als ich weiterblättere, taucht immer öfter der Name Dasgupta auf. Und immer noch weiß ich nicht, was Christian von diesem Mann will.
Dasgupta ist gefräßig bis in die letzte Zelle. Bei einem Abendessen bei Mukherjee, Terrasse, ebenso Maettgen und seine unergründliche Ángela dabei, wirft er mir böse Blicke zu. Denkt, weil er aus einer solchen Familie stammt und Mukherjees Göre ihm den Schwanz gelutscht hat, kann er sich alles erlauben. Die glauben doch hier in diesem heruntergekommenen Land, es gehe nur noch um Geld. Keine Freundschaft, keine Loyalität. In fünfundzwanzig Jahren ein beeindruckender Fortschritt von Bhagavadgita plus Gandhi plus Nehru zu Software,
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