Der dritte Schimpanse
er mit seiner Zunge viele Verzweigungen auslecken, ohne jedesmal ein neues Loch bohren zu müssen. Manche Spechtarten haben an der Zungenspitze kleine Widerhaken zum Aufspießen von Insekten, wieder andere besitzen große Speicheldrüsen, mit denen sie ihre Zunge klebrig machen und so Insekten fangen. Für die Zungen der Spechte gibt es viele Parallelen bei anderen Tierarten, zum Beispiel die ähnlich langen und ebenfalls zum Insektenfang dienenden Zungen der Frösche, Ameisenbären und Erdferkel.
Viertens und letztens haben Spechte eine robuste Haut, die sie vor Insektenstichen und den vom Hämmern und den starken Muskeln ausgehenden Belastungen schützt. Jeder, der Erfahrungen mit dem Abziehen von Vogelhaut besitzt, weiß, daß manche Arten eine viel kräftigere Haut haben als andere. Tierpräparatoren fluchen, wenn man ihnen eine Taube gibt, deren papierdünne Haut schon beim Angucken fast zerreißt, freuen sich hingegen über jeden Specht, Habicht oder Papagei.
Spechte sind zwar auf vielfältige Weise an ihre spezielle Lebensweise angepaßt, aber die meisten dieser Anpassungen gibt es auch bei anderen Vogel- oder Tierarten, und für die Besonderheiten ihres Schädelbaus lassen sich wenigstens Vorläufer finden. Man könnte deshalb erwarten, daß das ganze Bündel von Anpassungen, die bei Spechten zu beobachten sind, im Zuge der Evolution wiederholt entstand, und daß es deshalb viele Gruppen von Tieren gibt, die, um Futter zu suchen oder Bruthöhlen zu bauen, Löcher in Bäume hacken. Manche Tierarten, die aufgrund ihrer besonderen Ernährungsweise gleich klassifiziert wurden, erwiesen sich später als polywlicher stammesgeschichtlicher Herkunft entwickelten ähnliche Anpassungen. Man weiß heute von Geiern, daß sie polyphyletisch sind, und vermutet es von Fledermäusen und Robben. Aber für eine Polyphylie der Spechte fehlt jeder Hinweis, auch aus der Molekularbiologie. Alle heutigen Spechtarten sind enger miteinander verwandt als mit irgendwelchen anderen Arten. Ihre spezielle Lebensweise entwickelte sich anscheinend nur einmal. Selbst auf entlegenen Landmassen im Ozean, wie Australien, Neuguinea und Neuseeland, die der Specht nie erreichte, brachte die Evolution kein anderes Lebewesen hervor, das die prächtigen Möglichkeiten nutzt, welche die Lebensweise des Spechts bietet. Zwar höhlen einige Vögel und Säugetiere jener Regionen totes Holz aus oder bohren in Baumrinde, doch das ist nur eine schwache Entschuldigung für das Fehlen von Spechten. Auch kann keines dieser Tiere Holz aushöhlen, das noch lebt. Hätte die Evolution nicht jenes eine Mal entweder in der Alten oder in der Neuen Welt Spechte hervorgebracht, wäre eine erstklassige Nische auf der ganzen Welt unbesetzt geblieben.
Ich habe den Spechten so viel Raum gewidmet, um zu zeigen, daß Konvergenz kein universelles Phänomen ist und daß nicht jede vorhandene Gelegenheit auch tatsächlich ergriffen wird. Das gleiche hätte ich auch anhand anderer, ebenso geeigneter Beispiele verdeutlichen können. Die für Tiere am leichtesten zugängliche Nahrung sind zweifellos Pflanzen, und die bestehen zum wesentlichen Teil aus Zellulose. Dennoch gelang es noch keinem höherstehenden Tier, ein Enzym zur Verdauung von Zellulose zu entwickeln. Diejenigen Pflanzenfresser, die sich von Zellulose ernähren, müssen vielmehr die Dienste von Mikroben in Anspruch nehmen, die in ihren Gedärmen wohnen. Keiner dieser Pflanzenfresser erreicht auch nur annähernd die Effizienz von Wiederkäuern, zum Beispiel Kühen. Auch der Anbau eigener Nahrung böte Tieren einen offensichtlichen Vorteil, wie wir in Kapitel 10 sahen. Doch die einzigen Tiere, die vor dem Debüt der Landwirtschaft vor 10 000 Jahren auf diesen Dreh kamen, waren Blattschneiderameisen und ihre Verwandten nebst einigen weiteren Insekten, die Pilze anbauen bzw. Blattlaus-»Kühe« halten.
Es erwies sich somit als außerordentlich schwierig, selbst so offenkundig nützliche Anpassungen zu entwickeln wie die Lebensweise der Spechte, die effiziente Verdauung von Zellulose und den Anbau von Nahrung. Funkgeräte bringen viel weniger Nutzen für die Ernährung, und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftauchens während der Evolution dürfte deshalb noch viel geringer sein. Haben wir demnach einen Zufallstreffer gelandet, der im Weltall vermutlich sondergleichen ist?
Was lehrt uns die Biologie über die Zwangsläufigkeit der Evolution des Funks auf der Erde ?
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