Der Dritte Zwilling.
von der Versicherung bekommen hatte. Ich hätt’ zehntausend Dollar dafür gekriegt.«
»Ich möchte nicht, daß meine Jungs das hören!» Patty vergewisserte sich, daß sie sich nicht auf dem Flur aufhielten, dann schloß sie die Tür.
Jeannie fragte Daddy: »Und was ist schiefgegangen?«
»Ich hab’ den Lieferwagen rückwärts ans Gebäude gefahren, die Alarmanlage ausgeschaltet und die Lieferantentür aufgemacht. Dann hab’ ich mir gedacht, was passieren würde, wenn ein Bulle daherkam’. Das hat mich früher nie gejuckt, aber seit zehn Jahren hab’ ich so was nicht mehr gemacht. Jedenfalls hatte ich solchen Schiß, daß ich angefangen hab’ wie verrückt zu zittern. Ich bin wieder hinein ins Haus, hab’ einen Computer in den Lieferwagen getragen und bin davongefahren. Am nächsten Tag bin ich zu dir gekommen.«
»Und hast mich ausgeraubt!«
»Das hab’ ich wirklich nicht beabsichtigt gehabt, Schatz. Ich hab’ gedacht, du könntest mir vielleicht wieder auf die Füße helfen und irgendeinen ehrlichen Job für mich finden. Dann, wie du weg warst, hat mich dieses alte Gefühl überkommen. Ich hab’ dagesessen, hab’ deine Stereoanlage angeseh’n und gedacht, daß ich dafür bestimmt zweihundert Dollar oder so bekommen könnt’ und vielleicht hundert für den Fernseher, und dann hab’ ich’s einfach getan. Und wie ich alles verkauft gehabt hab’, wollt’ ich mich umbringen, ich schwör’s.«
»Aber das hast du nicht.«
»Jeannie!« rügte Patty.
Daddy fuhr fort: »Ich hab’ mir ein paar Drinks geleistet und war dann plötzlich mitten in einem Pokerspiel. Und am Morgen hab’ ich keinen Penny mehr gehabt.«
»Also hast du dich bei Patty verkrochen.«
»Ich tu’ dir so was bestimmt nicht an, Patty! Ich tu’ so was nie wieder jemand an! Von jetzt an werd’ ich mir mein Brot ehrlich verdienen!«
»Wehe dir, wenn nicht!« warnte Patty.
»Ich muß es wohl, ich hab’ gar keine andre Wahl.«
Da warf Jeannie ein: »Aber noch nicht sofort.«
Beide blickten sie an. Patty fragte nervös: »Jeannie, wovon redest du?«
»Du mußt noch einen Job übernehmen«, sagte Jeannie zu Daddy. »Für mich. Einen Bruch. Heute Nacht!«
Kapitel 41
Es wurde bereits dunkel, als sie den Jones-Falls-Campus er reichten. »Schade, daß wir keinen unauffälligeren Wagen haben«, sagte ihr Vater, als Jeannie den roten Mercedes auf dem Studentenparkplatz abstellte. »Ein Ford Taunus wäre gut oder ein Buick Regal. Man sieht so viele davon, daß sie niemand auffallen.«
Er stieg mit einer arg ramponierten Aktenmappe aus ehemals hellem Leder aus.
In seinem karierten Hemd und der zerknitterten Hose, dem struppigen Haar und den abgetretenen Schuhen sah er aus wie ein Professor.
Jeannie hatte ein komisches Gefühl im Magen. Sie wußte seit vielen Jahren, daß ihr Daddy ein Einbrecher war, aber sie selbst hatte nie etwas Ungesetzlicheres getan, als die Höchstgeschwindigkeit zu mißachten. Jetzt stand sie davor, in ein Gebäude einzubrechen. Es war, als überquere sie eine schicksalhafte rote Linie.
Sie fand zwar nicht, daß sie etwas Unrechtes tat, betrachtete sich jedoch ab jetzt mit ganz anderen Augen. Sie hatte sich stets für eine gesetzestreue Bürgerin gehalten. Kriminelle, ihr Vater eingeschlossen, hatten für sie immer zu einer scheinbar anderen Spezies gehört. Jetzt lief sie zu ihnen über.
Die meisten Studenten und Institutsmitglieder waren bereits heimgegangen, aber einige befanden sich noch auf dem Campus: Professoren, die sich nicht von ihrer Arbeit trennen konnten, Studenten, die noch ausgehen wollten, Hausmeister, die nach dem Rechten sahen, ehe sie abschlössen, und Wachmänner, die ihre Runden zogen. Jeannie hoffte, sie würde niemandem über den Weg laufen, den sie kannte.
Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Sie hatte mehr Angst um ihren Vater als um sich. Würden sie erwischt, wäre es außer ordentlich demütigend für sie, doch das wäre alles. Kein Richter würde sie hinter Gitter schicken, weil sie in ihr eigenes Büro eingebrochen war, um sich eine ihrer Disketten zu holen. Aber Daddy mit seinen Vorstrafen würde keinesfalls glimpflich davonkommen und das Ge fängnis erst wieder als alter Mann verlassen.
Die Straßenlampen und die Außenbeleuchtung des Gebäudes gingen allmählich an. Jeannie und ihr Vater schritten am Tennisplatz vorbei, wo zwei Mädchen noch bei Flutlicht spielten. Jeannie erinnerte sich, wie Steve sie vergangenen Sonntag nach dem Spiel angesprochen
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