Der Dritte Zwilling.
Maschine vom Baltimore-Washington International Airport abhob, erzählte sie Jeannie, was dabei herausgekommen war.
Vor drei Jahren hatten die verzweifelten Eltern eines vermißten vierzehnjährigen Mädchens die Spur ihrer Tochter bis in Waynes New Yorker Wohnung verfolgt und ihn wegen Kindesentführung angezeigt. Wayne hatte den Vorwurf zurückgewiesen und angegeben, er habe das Mädchen zu nichts gezwungen. Das Mädchen selbst hatte ausgesagt, es liebe ihn. Wayne war damals erst neunzehn gewesen, so daß das Verfahren am Ende niedergeschlagen wurde.
Aus den Auskünften ging hervor, daß Stattner offenbar von dem Drang besessen war, Frauen zu beherrschen, was nach Jeannies Überzeugung allerdings nicht ganz zur Psychologie eines Vergewaltigers paßte. Mish hielt dem entgegen, daß es keine strikten Regeln gebe.
Von dem Mann, von dem sie in Philadelphia angegriffen worden war, hatte Jeannie Mish nichts erzählt. Sie wußte, daß Mish ihr die Behauptung, es sei nicht Steve gewesen, bestimmt nicht abnehmen, sondern es vorziehen würde, Steve persönlich zu befragen. Das wollte sie Steve ersparen.
Daß sie auch den Anrufer verschweigen mußte, der sie gestern mit dem Tode bedroht hatte, war eine logische Konsequenz. Sie hatte niemandem davon erzählt, nicht einmal Steve; er hatte schon genug Sorgen.
Jeannie hätte Mish gerne sympathisch gefunden, doch die Spannung, die zwischen ihnen herrschte, war nicht zu leugnen. Als Polizistin erwartete Mish, daß die Leute taten, was sie ihnen sagte, und Jeannie war eine derartige Einstellung verhaßt. Um ihr dennoch menschlich etwas näherzukommen, hatte Jeannie sie gefragt, wie sie Polizistin geworden war.
»Ich war Sekretärin und bekam einen Job beim FBI«, antwortete Mish. »Nach zehn Jahren bildete ich mir ein, den Agentenjob besser zu beherrschen als der Mann, für den ich arbeitete. Ich meldete mich also zur Ausbildung, besuchte die Polizeiakademie, wurde Streifenpolizistin und ging dann freiwillig zum Rauschgiftdezernat, wo ich bei verdeckten Ermittlungen eingesetzt wurde. Das war ganz schön unheimlich, aber ich konnte damit beweisen, daß ich taff bin.«
Jeannie empfand eine plötzliche Distanz gegenüber ihrer Begleiterin; sie rauchte selbst hin und wieder etwas Hasch und konnte Leute nicht ausstehen, die sie deswegen am liebsten ins Gefängnis stecken würden.
»Dann wurde ich zur Sitte versetzt, Abteilung sexueller Mißbrauch von Kindern«, fuhr Mish fort. »Dort hielt ich es allerdings nicht lange aus. Niemand schafft das.
Es ist eine wichtige Aufgabe, doch man hat nur eine begrenzte Aufnahmekapazität für solche Sachen. Du drehst sonst durch. Ich jedenfalls landete schließlich bei den Sexualverbrechen.«
»Klingt auch nicht viel besser.«
»Zumindest handelt es sich bei den Opfern um Erwachsene. Nach ein paar Jahren wurde ich Sergeant und Leiterin des Dezernats.«
»Meiner Meinung nach sollten Vergewaltigungen nur von weiblichen Detectives untersucht werden«, sagte Jeannie.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da zustimmen kann.« Jeannie war überrascht.
»Glauben Sie nicht, daß es den Opfern leichter fällt, mit einer Frau darüber zu reden?«
»Alteren Opfern vielleicht, ja. Frauen über Siebzig, sagen wir mal.« Jeannie schauderte bei dem Gedanken, daß auch alte, gebrechliche Frauen vergewaltigt wurden.
»Offen gesagt, die meisten Opfer würden ihre Geschichte sogar einem Laternenpfahl erzählen«, fuhr Mish fort.
»Männer denken immer, die Frau hätte es herausgefordert.«
»Aber jeder Bericht über eine Vergewaltigung muß irgendwann überprüft werden, sonst ist kein fairer Prozeß möglich. Und bei diesen Verhören können Frauen brutaler sein als Männer, vor allem gegen über anderen Frauen.«
Jeannie vermochte das kaum zu glauben und fragte sich, ob Mish nicht bloß ihre männlichen Kollegen in Schutz nahm.
Als ihnen der Gesprächsstoff ausging, verfiel Jeannie in eine Art Tagträumerei.
Sie grübelte darüber nach, was die Zukunft noch für sie bereit halten mochte. Sie konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, jemals etwas anderes zu tun, als wissenschaftlich zu arbeiten. In ihrer Zukunftsvision sah sie sich als berühmte alte Dame, grauhaarig und zänkisch, aber dank ihrer Arbeit weltweit bekannt.
Den Studenten erklärte man: »Das kriminelle Verhalten des Menschen verstanden wir erst nach der Veröffentlichung von Jeannie Ferramis revlutionärem Buch im Jahr 2000.« Doch das war jetzt alles nicht mehr möglich. Sie mußte
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