Der Dritte Zwilling.
auch nicht zu schnell?«
»Aber sicher.«
Während Mr. Oliver sich um Harveys Füße kümmerte, ging Jean nie in ihr Schlafzimmer und holte einen bunten Sarong aus dem Schrank, den sie sich für den Strand gekauft hatte, dazu eine große Wickelstola, ein Taschentuch und eine Nancy-Reagan-Maske, die sie einmal auf einer Party bekommen und später wegzuwerfen vergessen hatte.
Mr. Oliver stellte Harvey auf die Beine. Kaum stand dieser auf recht, holte er mit den gefesselten Händen zu einem Schwinger aus. Jeannie hielt die Luft an, und Lisa schrie auf. Doch Mr. Oliver mußte mit einer solchen Attacke gerechnet haben. Er wich dem Schlag mühelos aus und rammte Harvey im Gegenzug den Kolben der Pistole in die Magengrube. Harvey stieß ein grunzendes Geräusch aus und krümmte sich. Ein zweiter Kolbenhieb traf ihn auf den Kopf. Harvey brach in die Knie. Mr. Oliver zog ihn sofort wieder hoch, und diesmal war Harvey fügsam.
»Ich möchte ihn verkleiden«, sagte Jeannie.
»Nur zu«, sagte Mr. Oliver. »Ich stelle mich daneben und gebe ihm ab und zu eins drauf, damit er auch schön brav bleibt.«
Jeannie war nervös, als sie Harvey den Sarong um die Taille wickelte und wie einen Rock zuband. Ihre Hände zitterten; die körperliche Nähe war ihr zuwider.
Der Rock war so lang, daß er sogar Harveys Knöchel bedeckte und damit auch das Kabel, mit dem seine Füße ge fesselt waren. Sie drapierte die Stola über seine Schultern und befestigte sie mit einer Sicherheitsnadel an den Handfesseln, so daß es aus sah, als hielte er die Enden der Stola wie eine alte Frau mit beiden Händen fest. Dann rollte Jeannie das Taschentuch zusammen, band es ihm um den geöffneten Mund und verknotete es im Nacken, so daß das Geschirrtuch nicht herausfallen konnte. Zum Schluß stülpte sie Harvey, um den Knebel zu verbergen, noch die Nancy-Reagan-Maske über den Kopf. »Er war als Nancy Reagan auf einem Kostümfest und ist betrunken«, sagte sie.
»Das sieht ganz gut aus«, meinte Mr. Oliver.
Das Telefon klingelte. Jeannie nahm den Hörer ab. »Hallo?«
»Mish Delaware.«
Jeannie hatte sie ganz vergessen. Es war jetzt vierzehn oder fünf zehn Stunden her, seit sie verzweifelt versucht hatte, die Polizistin zu erreichen. »Hi«, sagte sie.
»Sie hatten recht. Harvey Jones ist der Täter.«
»Wie haben Sie das herausgefunden?«
»Die Kollegen in Philadelphia waren auf Zack. Sie sind gleich zu seiner Wohnung gefahren. Er war nicht da, aber ein Nachbar hat sie reingelassen. Sie haben die Mütze gefunden und sofort gemerkt, daß sie der Beschreibung im Fahndungsaufruf entsprach.«
»Phantastisch!«
»Ich bin jederzeit bereit, ihn zu verhaften, weiß aber nicht, wo er sich gegenwärtig aufhält. Wissen Sie’s?«
Jeannies Blick fiel auf Harvey - eine ein Meter achtundachtzig große Nancy Reagan. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Aber ich kann Ihnen sagen, wo er morgen um zwölf Uhr mittags sein wird.«
»Wo?«
»Im Stouffer-Hotel, Regency Room. Auf einer Pressekonferenz.«
»Danke.«
»Können Sie mir einen Gefallen tun, Mish?«
»Welchen?«
»Verhaften Sie ihn bitte nicht vor Ende der Pressekonferenz. Seine Anwesenheit ist für mich sehr wichtig.«
Mish Delaware zögerte kurz, dann sagte sie: »Okay.«
»Danke, das ist wirklich sehr nett von Ihnen.« Jeannie legte den Hörer auf.
»Okay, dann packen wir ihn mal in den Wagen.«
»Gehen Sie vor und halten Sie mir die Türen auf«, sagte Mr. Oliver. »Ich bringe ihn.«
Jeannie nahm ihr Schlüsselbund und lief die Treppe hinunter. Es war zwar inzwischen längst dunkel, doch die Nacht war sternenklar, und die Straßenlaternen warfen schattenreiche Lichter. Händchenhaltend kam ihr ein junges Paar in zerrissenen Jeans entgegen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite führte ein Mann mit einem Strohhut auf dem Kopf einen gelben Labrador Gassi. Alle drei würden den Vorgang genau sehen können. Würden sie herschauen? Würden sie sich dafür interessieren?
Jeannie sperrte ihren Wagen auf und öffnete die Tür.
Auf Tuchfühlung miteinander kamen Harvey und Mr. Oliver aus dem Haus. Mr. Oliver stieß den Gefangenen vorwärts. Harvey stolperte. Lisa bildete die Nachhut und schloß die Haustür hinter sich.
Sekundenlang kam Jeannie die Szene wie absurdes Theater vor, und ein hysterisches Lachen stieg in ihrer Kehle auf. Um es zu er sticken, mußte sie die Faust gegen den Mund pressen.
Harvey hatte den Wagen erreicht, und Mr. Oliver gab ihm einen letzten Stoß, so daß er fast der
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