Der Dritte Zwilling.
Sprache. Was kann ich bloß sagen? Dann kamen die Worte fast automatisch. »Ich hab’ keinen Schlafanzug.«
»Seit wann trägst du Schlafanzüge?«
Lag Mißtrauen in Berringtons Stimme? Oder war er bloß überrascht? Steve vermochte es nicht zu sagen.
Wild drauflos improvisierend, fuhr er fort: »Ich dachte, du hättest vielleicht ein übergroßes T-Shirt oder so was.«
»Bestimmt nichts mit deiner Schulterweite, mein Junge«, er widerte Berrington - und fing, zu Steves großer Erleichterung, zu lachen an.
Steve hob die Schultern. »Ist ja auch egal«, sagte er und ging weiter.
Am Ende des Ganges befanden sich noch einmal zwei gegenüber liegende Türen: Höchstwahrscheinlich führten sie in Harveys Zimmer und das des Hausmädchens.
Aber welches ist welches?
Steve ließ sich Zeit. Er hoffte, seine Wahl erst treffen zu müssen, wenn Berrington in seinem eigenen Zimmer verschwunden wäre.
Als sich die Entscheidung nicht mehr aufschieben ließ, drehte er sich noch einmal um. Berrington beobachtete ihn.
»Nacht, Dad«, sagte er.
»Gute Nacht.«
Links oder rechts? Keine Ahnung. Such dir eine aus.
Steve öffnete die Tür zu seiner Rechten.
Ein Rugbyhemd über einer Stuhllehne, eine CD von Snoop Doggy Dog auf dem Bett. Ein Playboy auf dem Schreibtisch.
Das Zimmer eines jungen Mannes. Gott sei Dank.
Er trat ein, stieß die Tür mit der Hacke hinter sich zu und lehnte sich schwerfällig dagegen. Ihm war ganz schwach vor Erleichterung.
Dann zog er sich aus und ging zu Bett. Es war schon ein sehr merk würdiges Gefühl - in Harveys Bett, in Harveys Zimmer, im Haus von Harveys Vater … Er knipste das Licht aus, lag aber noch lange wach und lauschte auf die Geräusche in dem ihm fremden Haus. Eine Zeit lang waren noch Schritte zu hören, Türen wurden geschlossen, Wasser rauschte. Dann war alles still.
Er fiel in einen leichten Schlaf - und wurde plötzlich geweckt. Da ist jemand im Zimmer!
Er nahm einen eigentümlichen Duft wahr - ein blumenartiges Parfüm, vermischt mit dem Geruch nach Knoblauch und Gewürzen.
Dann sah er die zierliche Silhouette Mariannes am Fenster vorbei gehen.
Bevor er irgend etwas sagen konnte, schlüpfte sie zu ihm ins Bett.
»Hey«, flüsterte er.
»Isch blas’ dir einen, so wie du’s magst«, sagte sie, doch Steve spürte die Angst in ihrer Stimme.
»Nein«, sagte er. Sie vergrub sich unter der Bettdecke und näherte sich seinem Geschlecht. Steve schob sie von sich. Sie war nackt.
»Bitte tu mir ‘eute nischt weh, ‘arvey«, sagte Marianne. Sie sprach mit französischem Akzent.
Steve begriff. Marianne war eine Immigrantin, und Harvey hatte sie dermaßen eingeschüchtert, daß sie nicht nur alles tat, was er von ihr verlangte, sondern seine Forderungen schon vorausahnte. Wie war es möglich, daß er dieses Mädchen ungestraft mißhandelte, während sein Vater im Zimmer nebenan schlief? Schrie sie nicht? Ihm fiel die Schlaftablette ein. Berrington schlief so tief, daß Mariannes Schreie ihn nicht aufweckten.
»Ich tu dir nicht weh, Marianne«, sagte er. »Beruhige dich.«
Ihre Küsse bedeckten sein Gesicht. »Bitte sei lieb zu mir, bitte. Isch tu alles, was du willst, Harvey, aber tu mir nischt weh.«
»Marianne!« sagte er streng. »Sei still.«
Sie erstarrte.
Er legte ihr den Arm um die dünnen Schultern. Ihre Haut war weich und warm.
»Bleib einfach liegen und beruhige dich«, sagte er und streichelte ihren Rücken.
»Niemand wird dir mehr weh tun, das verspreche ich dir.«
Ihr Körper war noch immer ganz verkrampft, als rechne er jeden Augenblick mit Schlägen. Es dauerte eine Zeitlang, bis die Anspannung allmählich nachließ.
Marianne kuschelte sich enger an ihn.
Er bekam eine Erektion - er konnte gar nichts dagegen tun. Er wußte, daß er jetzt ohne weiteres mit ihr schlafen könnte, und mit dem kleinen, zitternden Körper in seinen Armen war die Versuchung groß genug. Niemand würde je davon erfahren. Es würde herrlich sein, sie zu streicheln und zu erregen - und Marianne würde über die überraschend liebevollen und einfühlsamen Zärtlichkeiten froh und glücklich sein. Eine Nacht voller Küsse und Berührungen stand ihm bevor.
Er seufzte. Es war nicht recht, trotz allem. Sie war nicht freiwillig zu ihm gekommen. Unsicherheit und Angst hatten sie in sein Bett gebracht, nicht Sehnsucht und Lust. Ja, Steve, du kannst sie jetzt bumsen - und damit beutest du eine völlig verängstigte Immigrantin aus, die fest davon überzeugt ist, daß sie keine andere
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