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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Mann hatte den Hof gekauft, als sich der alte Antanas entschloß, mit seinem auswandernden Sohn zu gehen.
    Es lag fast anderthalb Jahre zurück, daß Jurgis Ona zum ersten Mal begegnet war, und zwar auf einem Pferdemarkt hundertfünfzig Werst weit fort von daheim. Jurgis hatte nie vorgehabt zu heiraten, hatte immer über Männer gespottet, die so töricht seien, sich einfangen zu lassen, aber hier nun, und obwohl er und Ona noch kein einziges Wort gewechselt und sich nur ein paarmal zugelächelt hatten, fand er sich dabei, wie er mit vor Verlegenheit und Angst hochrotem Gesicht vor ihre Eltern hintrat und sie bat, sie ihm zur Frau zu geben – gegen die beiden Pferde seines Vaters, die er auf dem Markt verkaufen sollte. Onas Vater erwies sich jedoch als steinhart: Das Mädchen sei noch ein Kind und er ein wohlhabender Mann, dessen Tochter man nicht so einfach haben könne. Schweren Herzens zog Jurgis wieder heim, arbeitete jenen Frühling und Sommer hindurch schwer und suchte zu vergessen. Im Herbst, nachdem die Ernte eingebracht war, erkannte er, daß ihm das nie gelingen würde, und so machte er sich abermals auf den vierzehntägigen Fußmarsch, der zwischen ihm und Ona lag.
    Er fand eine unerwartete Situation vor: Den Vater des Mädchens hatte der Tod ereilt, und der Hof war an Gläubiger verpfändet gewesen. Als Jurgis klar wurde, daß Ona jetzt für ihn erreichbar sei, hüpfte ihm das Herz. Die anderen Familienmitglieder waren Onas Stiefmutter Elzbieta, deren sechs Kinder aller Altersstufen und außerdem noch ihr Bruder Jonas, ein vertrockneter kleiner Mann, der auf dem Hof gearbeitet hatte. Den aus dem Hinterwald kommenden Jurgis dünkten sie etwas Besonderes; Ona konnte lesen und noch vieles andere mehr, Künste, die er alle nicht beherrschte. Und nun war das Anwesen verkauft, und die ganze Familie hing in der Luft – all ihre Habe in der Welt waren rund siebenhundert Rubel, was etwa halb so viele Dollars sind. Sie hätten das Dreifache haben können, aber sie hatten klagen müssen, und es war gegen sie entschieden worden; den Richter zum Rückgängigmachen seines Urteils zu bewegen hatte sie die beiden anderen Drittel gekostet.
    Ona hätte nun heiraten und sie verlassen können, aber das wollte sie nicht, denn sie hing an Teta Elzbieta. Jonas kam dann mit dem Vorschlag, nach Amerika auszuwandern, wo ein Bekannter von ihm reich geworden sei. Er für seinen Teil werde dort arbeiten gehen, die Frauen könnten das gleichfalls tun und sicher ebenso einige der Kinder; irgendwie würden sie ihren Unterhalt finden. Auch Jurgis hatte schon von Amerika gehört – einem Lande, wo man auf drei Rubel Tageslohn kommen könne. Er rechnete sich aus, was drei Rubel täglich bedeuteten, bei hiesigen Preisen natürlich, und beschloß nun, unverzüglich nach Amerika zu gehen, zu heiraten und obendrein ein reicher Mann zu werden. Dem Erzählen nach war dort jeder, ob arm oder reich, ein freier Mensch; man mußte nicht zum Militär, brauchte sein Geld nicht an korrupte Beamte wegzugeben – konnte tun und lassen, was man wollte, und sich allen anderen gleichberechtigt fühlen. Amerika war somit ein Land, von dem Liebespaare und junge Leute träumten. Wer es schaffte, die Summe für die Überfahrt zusammenzubringen, der durfte darauf rechnen, ausgesorgt zu haben.
    Sie kamen also überein auszuwandern, und zwar nächstes Frühjahr. Bis dahin verdingte sich Jurgis an eine Gleisbaufirma und zog mit einer Kolonne fast sechshundert Werst weit nach Smolensk, wo sie dann an einer Bahnlinie arbeiteten. Die Verhältnisse dabei waren fürchterlich – unsagbarer Schmutz, schlechte Verpflegung, brutale Behandlung und schwerste Schufterei –, doch Jurgis stand es unbeschadet durch und verdiente achtzig Rubel, die er sich in seine Jacke einnähte. Er trank nicht, hielt sich auch aus Schlägereien heraus, denn er dachte die ganze Zeit an Ona, und ansonsten tat er ruhig und verläßlich seine Arbeit; schaffte es doch mal jemand, ihn zum Zorn zu reizen, war der hinterher eifrig bedacht, es kein zweites Mal dazu kommen zu lassen. Nachdem Jurgis ausbezahlt worden war, ließ er sich in keine Kartenspiele ein und machte auch um die Wodkaschenken einen Bogen, woraufhin man ihn umzubringen suchte, doch er entkam und schlug sich, unterwegs Gelegenheitsarbeiten annehmend und stets nur mit einem Auge schlafend, nach Hause durch.
    Anfang Sommer schifften sich alle nach Amerika ein. Im letzten Augenblick schloß sich ihnen noch Marija Berczynskas an, eine

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