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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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»Akkordarbeit«, aber es war auch so dafür gesorgt, daß der Junge nicht trödelte, da man die Maschine auf das für Menschenhände höchstmögliche Tempo eingestellt hatte. Dreißigtausend dieser Plättchen hantierte er so tagtäglich, das sind im Jahr neun bis zehn Millionen – wie viele in einem ganzen Leben wußten allein die Götter. Nahe bei ihm saßen Männer über rotierende Schleifscheiben gebeugt und gaben den Stahlmessern der Mähmaschinen ihren Scharfschliff; mit der rechten Hand holten sie sie aus einem Korb, hielten erst die eine und dann die andere Seite an die Scheibe und ließen sie schließlich mit der Linken in einen anderen Korb fallen. Einer dieser Arbeiter erzählte Jurgis, daß er jeden Tag dreitausend Stück schleife, und das schon seit zehn Jahren. Im nächsten Saal gab es staunenswerte Maschinen, die lange, dünne Stahlstangen langsam verschlangen, sie zerschnitten, dann die einzelnen Stücke packten, ihnen Köpfe aufstauchten und Gewinde einfrästen, sie schliffen und polierten und sie schließlich in einen Korb fallen ließen, fix und fertig zum Verbolzen der Erntemaschinen. Wieder eine andere Maschine lieferte Zehntausende von stählernen Unterlegscheiben für diese Bolzen. In anderen Sälen wurden verschiedenste große Einzelteile in Wannen mit Farbe getaucht und dann zum Trocknen aufgehängt; später rollten sie an Förderhaken in eine weitere Halle, wo Arbeiter sie mit gelben und roten Streifen bemalten, damit sie auf den Feldern hübsch farbenfroh aussahen.
    Jurgis’ Freund arbeitete oben in der Gießerei, und er hatte für ein bestimmtes Teil die Gußformen anzufertigen. Er schaufelte schwarzen Sand in ein eisernes Gefäß, stampfte ihn um ein darin befindliches Modell herum fest und setzte das Ganze dann zum Erhärten beiseite; nachher wurde das Modell herausgenommen und dafür flüssiges Eisen hineingegossen. Auch dieser Mann wurde nach der geschafften Stückzahl entlohnt – aber nicht der der hergestellten Formen, sondern der der einwandfreien Güsse, und die gelangen bei fast nur jeder zweiten Form, so daß die Hälfte seiner Arbeit umsonst war. Man konnte ihn zusammen mit Dutzenden anderen draufloswerken sehen, als triebe ihn eine ganze Horde Teufel an: Seine Arme gingen wie die Pleuelstangen einer Lokomotive, seine langen schwarzen Haare flatterten umher, seine Augen quollen hervor, der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht. Den lieben langen Tag rackerte er sich auf diese Weise ab, mit allen Fasern seines Seins darauf ausgerichtet, dreiundzwanzig statt zweiundzwanzigeinhalb Cent in der Stunde zu machen; dann würde sein Arbeitsausstoß statistisch ausgewertet werden, auf daß sich frohlockende Industriebarone auf ihren Banketten damit brüsten und erklären können, unsere Arbeiter wären fast doppelt so tüchtig wie die aller anderen Länder. Wenn wir von allen Nationen, die es jemals unter der Sonne gegeben hat, die großartigste sind, dann wohl vornehmlich deshalb, weil wir es fertiggebracht haben, unsere Lohnempfänger zu solcher Raserei anzutreiben. Doch haben wir auch noch einiges andere aufzuweisen, das großartig ist, zum Beispiel unseren Alkoholkonsum, der uns jährlich eineinviertel Milliarden Dollar kostet.
    Sie hatten eine Maschine, die Eisenplatten ausstanzte, und eine andere, die diese mit wuchtigem dumpfem Schlag in die Sitzfleischform des amerikanischen Farmers preßte. Dann stapelte man sie auf einen Karren, und es war Jurgis’ Aufgabe, sie in die Halle zu fahren, wo die Erntemaschinen montiert wurden. Diese Arbeit war für ihn ein Kinderspiel, und er bekam pro Tag einen Dollar fünfundsiebzig dafür. Am Samstag zahlte er Aniele die fünfundsiebzig Cent, die er ihr wöchentlich für die Benutzung des Dachbodens schuldete, und holte auch seinen Mantel von der Pfandleihe zurück, wohin Elzbieta ihn gebracht hatte, als er im Gefängnis war.
    Daß er ihn wiederhatte, war ein großer Segen. Man kann in Chicago nicht mitten im Winter ohne Mantel herumlaufen, ohne dafür büßen zu müssen, und Jurgis hatte zu seiner Arbeit und zurück fünf oder sechs Meilen zu laufen beziehungsweise zu fahren. Die Hälfte des Weges ging in die eine, die zweite in eine andere Richtung, so daß er umsteigen mußte; laut städtischer Verordnung hatten zwar an allen Schnittpunkten Umsteigebiletts ausgegeben zu werden, doch die Straßenbahngesellschaft umging das, indem sie für eine der beiden Linien andere Besitzer vortäuschte. Wollte Jurgis fahren, mußte er also für

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