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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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jede Teilstrecke zehn Cent zahlen, das heißt über zehn Prozent seines Einkommens an diese Macht abführen, die sich ihre Betriebslizenz einst durch Bestechung des Magistrats verschafft hatte, trotz so massiver Proteste der Bevölkerung, daß es fast zum Aufruhr gekommen war. So müde er sich abends auch fühlte und so dunkel und bitterkalt es morgens oft war, ging Jurgis meist lieber zu Fuß; zu den Zeiten, in denen die Arbeiter unterwegs waren, hielt das Straßenbahnmonopol es für richtig, so wenige Wagen einzusetzen, daß die Leute dicht an dicht auf den Trittbrettern hingen und oft sogar oben auf dem schneebedeckten Dach hockten. Natürlich konnten so die Türen nie geschlossen werden, und folglich war es drinnen in den Wagen genauso kalt wie draußen. Gleich vielen anderen fand Jurgis es besser, das Fahrgeld für einen Whiskey mit freiem Essen auszugeben, was ihm beides Kraft zum Laufen gab.
    Das alles waren jedoch nur Lappalien für jemanden, der Durhams Düngerbude entkommen war. Jurgis begann wieder Mut zu fassen und Pläne zu schmieden. Er war zwar sein Haus losgeworden, aber dafür lastete jetzt nicht mehr die schreckliche Bürde der Abzahlungen und Zinsen auf seinen Schultern, und wenn Marija wieder arbeitsfähig war, könnten sie neu anfangen und dann auch Geld zurücklegen. In der Halle, wo er arbeitete, gab es einen Mann, Litauer wie er, von dem die anderen voller Bewunderung sprachen, weil er so Enormes leistete. Den ganzen Tag saß er an seiner Maschine und drehte Bolzen, und abends besuchte er eine Schule, um Englisch sowie auch lesen und schreiben zu lernen. Außerdem arbeitete er, da er acht Kinder zu ernähren hatte und sein Lohn dafür nicht ausreichte, an den Wochenenden als Wachmann; dabei mußte er alle fünf Minuten zwei Kontrollknöpfe an entgegengesetzten Enden eines Gebäudes drücken, und da er für den Weg nur zwei Minuten brauchte, blieben ihm zwischen jedem Gang drei Minuten zum Lernen. Jurgis beneidete diesen Mann, denn von so etwas hatte er vor zwei, drei Jahren selbst geträumt. Vielleicht könnte er es sogar jetzt noch schaffen, wenn ihm eine echte Möglichkeit geboten wurde; vielleicht würde man auf ihn aufmerksam und ließ ihn Facharbeiter werden oder gar Aufseher, wie es in diesem Werk schon mehreren geglückt war. Angenommen, Marija bekam Arbeit in der großen Fabrik, die Garn zum Garbenbinden herstellte – dann würden sie in die Gegend hier ziehen, und dann hätte er wirklich eine Chance. Wenn man solche Hoffnungen hegen konnte, hatte das Leben noch einen Sinn. Eine Stelle gefunden zu haben, wo man wie ein Mensch behandelt wurde – bei Gott, er würde ihnen zeigen, wie er das zu schätzen weiß! Er lachte in sich hinein bei dem Gedanken, wie er diese Arbeit festhalten würde!
    Und dann sah er eines Nachmittags, an seinem neunten Tag in den Erntemaschinenwerken, als er seinen Mantel holen wollte, eine Gruppe Arbeiter vor einem Anschlag an der Tür stehen, und als er hinüberging und fragte, was es denn gebe, sagten sie ihm, seine Abteilung werde ab morgen bis auf weiteres stillgelegt!

21
    Das sei typisch für die, sagten die Arbeiter – den Betrieb stillzulegen, ohne auch nur eine halbe Stunde vorher was davon anzukündigen! Das wär schon öfter vorgekommen, und das werde sich auch nicht ändern. Sie hätten so viele Erntemaschinen hergestellt, wie die Welt braucht, und mm müßten sie warten, bis sich welche abgenutzt haben. Man könne niemandem daran die Schuld geben; es wäre eben so. Tausende Männer und Frauen würden mm mitten im Winter entlassen und müßten von ihren Ersparnissen leben, so sie welche haben, oder aber vor die Hunde gehen. Zu den Zehntausenden in der Stadt, die ohne Arbeit und ohne Dach überm Kopf sind, kämen jetzt noch mal einige tausend hinzu!
    Niedergeschlagen ging Jurgis mit seinem bißchen Lohn in der Tasche nach Hause. Wieder war ihm eine Binde von den Augen gerissen worden, wieder eine Fallgrube aufgedeckt! Was nutzten gute Behandlung von Seiten der Arbeitgeber, wenn die einem den Arbeitsplatz nicht zu erhalten vermochten, wenn mehr Erntemaschinen produziert wurden, als die Welt kaufen konnte! Welch teuflischer Hohn lag doch darin, daß ein Mensch schuftete wie ein Sklave, um Erntemaschinen für das Land herzustellen, nur um dann hinausgesetzt und dem Hungertod preisgegeben zu werden, weil er seine Sache zu gut gemacht hatte!
     
    Jurgis brauchte zwei Tage, um über diese deprimierende Enttäuschung hinwegzukommen. In Alkohol konnte er

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