Der Dschungel
Doch Jokubas machte weiter, und bald zeigte sich, daß er guten Grund dazu hatte. Ihm stieg nämlich ein schrecklicher Verdacht auf, und je länger er las, um so mehr runzelte er die Stirn. Soweit er sehen konnte, war das überhaupt kein Kaufbrief, sondern bloß ein Mietvertrag! Bei diesem juristischen Kauderwelsch mit so vielen Wörtern, die er noch nie gehört hatte, ließ sich das zwar schwer erkennen, aber war »... verpflichtet sich obengenannte erste Partei hiermit zu mietlicher Überlassung an obengenannte zweite Partei« nicht eindeutig? Und ebenso »Mietzins in Höhe von 12 Dollar monatlich auf Dauer von 8 Jahren und 4 Monaten«? Jokubas nahm seinen Kneifer ab, sah den Makler an und stotterte eine Frage.
Der Makler war die Höflichkeit selbst und erklärte, das sei die übliche Formulierung; man vereinbare so etwas stets nur als Mietung. Immer wieder suchte er sie auf einen Passus im nächsten Absatz hinzuweisen, aber Jokubas kam nicht von dem Wort »Mietzins« los, und als er es Teta Elzbieta übersetzte, fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Da würde ihnen das Haus ja fast neun Jahre lang gar nicht gehören! Mit unendlicher Geduld setzte der Makler zu abermaliger Erklärung an, doch Erklärungen nutzten jetzt nichts mehr. Elzbieta hatte sich Jurgis’ letzte Warnung fest eingeprägt: »Wenn irgendwas nicht stimmt, dann gebt ihm auf keinen Fall das Geld, sondern geht und holt einen Rechtsanwalt.« So qualvoll dieser Augenblick auch war, aber sie saß da auf ihrem Stuhl, preßte die Hände zusammen, bot in schier übermenschlicher Anstrengung alle Kraft auf und hauchte ihre Absicht hervor.
Jokubas dolmetschte ihre Worte. Sie hatte angenommen, der Makler werde in die Luft gehen, doch zu ihrer Verwunderung blieb er gelassen; er erbot sich sogar, ihr einen Advokaten herbeizuholen, was sie aber ablehnte. Sie marschierten absichtlich weit, um jemanden zu finden, der nicht mit dem Makler im Bunde stehen würde. Und nun stelle man sich ihre Bestürzung vor, als sie nach einer halben Stunde mit einem Anwalt zurückkamen und hören mußten, wie der den Makler beim Vornamen begrüßte!
Sie hatten das Gefühl, jetzt sei alles verloren, und hockten da wie Gefangene, die man zur Verkündung ihres Todesurteils vorgeführt hat. Sie konnten nichts mehr tun – sie saßen in der Falle! Der Anwalt las das Dokument durch, und als er damit fertig war, teilte er Jokubas mit, alles sei völlig korrekt; es handle sich um einen vorgedruckten Vertrag, wie man ihn bei solchen Transaktionen oft verwendet.
Sei der Preis auch so wie vereinbart, wollte Jokubas wissen, nämlich dreihundert Dollar auf den Tisch und dann jeden Monat zwölf Dollar bis zur Abtragung der Gesamtsumme von fünfzehnhundert? Ja, genau. Und er gelte für den Kauf von dem und dem Haus samt Grund und allem? Ja. Der Anwalt zeigte ihm, wo das geschrieben stand. Es habe wirklich alles seine Ordnung – keine Tricks und Fallstricke dabei? Sie wären arme Leute, und dies sei alles, was sie in der Welt haben, und wenn an der Sache etwas faul ist, wäre das ihr Ende! Und so fuhr Jokubas fort, brachte eine bange Frage nach der anderen vor, während die Frauen in stummer Qual an seinen Lippen hingen; sie konnten zwar nicht verstehen, was er sagte, aber sie wußten, daß davon ihr Schicksal abhing. Als es schließlich nichts mehr zu fragen gab und es nun soweit war, daß sie sich entscheiden und den Kaufvertrag entweder abschließen oder Abstand davon nehmen mußten, war die arme Teta Elzbieta zu nichts weiter fähig, als ihre Tränen zurückzudrängen. Jokubas fragte sie zweimal, ob sie unterschreiben wolle – aber was konnte sie antworten? Wußte sie denn, ob der Anwalt die Wahrheit sagte und nicht mit dem Makler zusammenheckte? Doch wie, unter welchem Vorwand sollte sie diesen Zweifel vorbringen? Die Augen aller im Raum ruhten auf ihr, warteten auf ihr Wort, und schließlich begann sie, halbblind vor Tränen, an ihrer Jacke zu nesteln. Das Säckchen kam zum Vorschein, und sie nahm vor den Männern das Geld heraus. Ona, die in einer Ecke des Zimmers saß und alles beobachtete, krampfte jetzt in fieberhafter Angst die Hände zusammen. Sie wollte laut herausschreien und ihrer Stiefmutter sagen, sie solle einhalten, denn sie würden hereinfallen, aber irgend etwas schien ihr die Kehle zuzuschnüren, und sie brachte keinen Laut heraus. So legte Teta Elzbieta die Scheine auf den Tisch, und der Makler nahm sie, zählte nach, schrieb eine Quittung aus und überreichte ihnen
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