Der Dschungel
Zuhause – das kleine Zimmer drüben sollte ihnen gehören!
Dieses Haus einzurichten war ein nie endendes Vergnügen. Gewiß, zum bloßen Spaß am Einkaufen hatten sie kein Geld, ein paar Kleinigkeiten aber mußten sein, und die zu erstehen stellte für Ona jedesmal ein aufregendes Abenteuer dar. Es ging jeweils nur abends, damit Jurgis mitkommen konnte, und zogen sie auch bloß aus, einen Pfefferstreuer oder ein halbes Dutzend Gläser für zehn Cent zu kaufen, war das für sie immer eine Expedition. Am Samstag abend kehrten sie mit einem ganzen Korb voll heim und breiteten alles auf dem Tisch aus, während die anderen drum herum standen und die Kinder auf die Stühle kletterten oder heulend verlangten, hochgehoben zu werden, um ebenfalls alles sehen zu können. Da waren Zucker, Tee, Biskuits, eine Dose Schmalz, eine Milchkanne, eine Scheuerbürste, ein Paar Schuhe für den zweitältesten Jungen, eine Büchse Öl, ein Hammer und ein Pfund Nägel. Die Nägel sollten in die Wände von Küche und Schlafzimmer geschlagen werden, damit man daran Sachen aufhängen konnte, und die ganze Familie diskutierte darüber, wo jeder einzelne hinkommen müsse. Dann begann Jurgis mit dem Einhämmern, aber da der Hammer zu klein war, haute er sich auf die Finger und wurde ärgerlich, weil Ona ihn nicht die fünfzehn Cent mehr für einen größeren hatte ausgeben lassen. Aufgefordert, es doch selber zu probieren, schlug Ona sich ebenfalls auf den Daumen und weinte los, was Jurgis natürlich veranlaßte, ihn mit Küssen zu bedecken. Zu guter Letzt aber, nachdem es jeder einmal versucht hatte, saßen die Nägel fest und hing an allen etwas. Jurgis war mit einer großen Packkiste auf dem Kopf nach Hause gekommen, und er schickte Jonas los, eine zweite zu holen, die er gekauft hatte. Morgen wollte er die Vorderseiten davon abnehmen und dann Zwischenböden einziehen, damit sie auch in den Schlafzimmern etwas hatten, wo sie Sachen unterbringen konnten. Das auf dem Plakat angepriesene Nest hatte nicht die Menge Federn enthalten, die für so viele Vögel wie in dieser Familie nötig war,
Ihren Eßtisch hatten sie natürlich in die Küche gestellt; das Speisezimmer diente als Schlafraum für Teta Elzbieta und fünf ihrer Kinder. Sie und die beiden jüngsten schliefen in dem einzigen vorhandenen Bett, die drei anderen teilten sich eine auf dem Boden liegende Matratze. Ona und Marija schleppten abends eine Matratze ins Wohnzimmer und richteten sich dort ein Lager her. Die drei Männer und der älteste Junge nächtigten in dem dritten Zimmer, vorerst noch auf den nackten Bodendielen. Dennoch hatten sie einen guten Schlaf – Teta Elzbieta mußte jeden Morgen um Viertel nach fünf mehr als einmal an ihre Tür klopfen. Sie hatte dann eine große Kanne heißen schwarzen Kaffee fertig, wozu es Hafergrütze, Brot und Räucherwürstchen gab. Inzwischen machte sie jedem seine Büchse für die Mittagspause zurecht, füllte sie mit dicken Schmalzbroten – Butter konnten sie sich nicht leisten –, ein paar Zwiebeln sowie einem Stück Käse, und dann zogen sie los zur Arbeit.
Jurgis kam es vor, als arbeite er zum ersten Mal im Leben wirklich; zum ersten Mal verlangte ihm eine Arbeit alles ab, was in ihm steckte. Er hatte mit den anderen von der Besuchergalerie aus den Männern an den Schlachtbändern zugeschaut und ihre Schnelligkeit und Kraft bestaunt, als wären sie wundervolle Maschinen; irgendwie kam es einem dabei gar nicht in den Sinn, was das für Knochenarbeit war – das ging einem erst auf, wenn man selber in die Grube hinunterstieg und seine Ärmel hochkrempelte. Da sah man die Dinge in einem anderen Licht, nämlich von innen. Das Tempo, das hier herrschte, forderte den vollen Einsatz des Arbeiters – von dem Moment an, da das erste Rind umfiel, bis zum Ertönen der Mittagssirene und dann wieder von halb eins bis in den späten Nachmittag oder Abend hinein gab es nicht die kleinste Verschnaufpause für ihn, keine einzige Sekunde, in der sich seine Hände, seine Augen oder sein Hirn entspannen konnten. Jurgis erkannte, wie das Ganze lief: Bestimmte Arbeitsgänge schlugen die Geschwindigkeit für die übrigen an, und dafür hatte man besonders ausgewählte Leute, denen hohe Löhne gezahlt wurden und die man häufig auswechselte. Diese Schrittmacher waren leicht zu erkennen, denn sie arbeiteten unmittelbar unter den Augen der Aufseher und legten sich wie besessen ins Zeug. Man nannte das »Tempo vorlegen«, und hielt jemand das nicht durch –
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