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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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herausstellen – wie solle ein armer Mann so was vorher erkennen? Schon mit dem Kaufvertrag würden sie einen aufs Kreuz legen, denn auch davon verstehe ein armer Schlucker ja nichts. Es sei alles nur Geldschneiderei, vor der man sich allein dadurch schützen kann, indem man sich in keine solchen Sachen einläßt. »Und Miete zahlen?« fragte Jurgis. Ja, gab Jokubas zurück, das sei natürlich ebenfalls Geldschneiderei – der Arme werde so oder so überall nur geschröpft. Nach einer halben Stunde solch deprimierender Unterhaltung waren sie überzeugt, vorm Sturz in einen Abgrund gerettet worden zu sein, aber dann ging Jokubas wieder, und Jonas, der ein kleiner Pfiffikus war, erinnerte sie daran, daß der Feinkostladen nach Angabe seines Besitzers eine einzige Pleite sei und daß dies der Grund für dessen Schwarzseherei sein könne. Woraufhin die Diskussion natürlich wieder von vorn losging.
    Ausschlaggebend war dann, daß sie nicht bleiben konnten, wo sie jetzt wohnten – irgendwo mußten sie hin. Ließen sie den Plan mit dem Hauskauf fallen und entschieden sich für eine Mietwohnung, erschien ihnen die Aussicht, dafür immer und ewig monatlich neun Dollar hinlegen zu müssen, nicht weniger bedrückend. Fast eine Woche lang schlugen sie sich Tag und Nacht mit dem Problem herum, und schließlich nahm Jurgis die Verantwortung auf sich. Bruder Jonas hatte seine Stelle bekommen, war jetzt Karrenschieber bei Durham, und an den Schlachtbändern von Brown wurde weiterhin über die Zeit hinaus gearbeitet, so daß Jurgis von Stunde zu Stunde mehr Zuversicht gewann, es schaffen zu können. Er sagte sich, so etwas müsse der Mann in der Familie entscheiden und durchführen. Mochte es anderen auch nicht gelungen sein – er sei kein Versager und werde ihnen zeigen, wie man das macht. Er werde den ganzen Tag arbeiten, und wenn es sein muß, auch die ganze Nacht, werde nicht rasten und ruhen, bis das Haus abbezahlt ist und seine Familie ein Heim hat. Das alles sagte er ihnen, und damit waren die Würfel gefallen.
    Sie hatten davon gesprochen, sich erst noch andere Häuser anzusehen, doch wußten sie weder, wo es welche gab, noch wo sie sich danach erkundigen konnten. Das eine, das sie besichtigt hatten, nahm in ihren Gedanken vollen Vorrang ein; immer wenn sie sich im Geiste wo wohnen sahen, dann in jenem Haus. Und so gingen sie hin und sagten dem Makler, sie wären bereit, den Vertrag zu machen. Rein theoretisch wußten sie zwar, daß man, wenn ein Geschäft im Spiel ist, in jedem Menschen von vornherein einen Lügner sehen muß, aber von dem Redeschwall des Maklers überwältigt, nahmen sie seine Erklärungen für bare Münze und glaubten ernsthaft, durch ihr Zögern riskiert zu haben, daß ihnen das Haus inzwischen weggeschnappt worden sei. Erleichtert atmeten sie auf, als er ihnen sagte, es wäre noch nicht zu spät.
    Sie sollten morgen wiederkommen, bis dahin habe er die Papiere alle fertig. Das mit den Papieren – Jurgis wußte sehr wohl, daß man da gar nicht vorsichtig genug sein konnte, aber trotzdem war es ihm nicht möglich, selber hinzugehen; jeder hatte ihm gesagt, daß er keinen freien Tag bekommen würde und schon durch das bloße Bitten darum Gefahr laufe, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die Sache den Frauen und Jokubas Szedvilas anzuvertrauen, der sich erboten hatte, sie zu begleiten. Jurgis verbrachte Stunden damit, ihnen einzuschärfen, wie ernst das Ganze sei – und schließlich kamen aus unzähligen Verstecken in am Leibe getragener Kleidung und im Gepäck die kostbaren Bündel Geld zum Vorschein, um dann rasch in ein Säckchen gestopft und ins Futter von Teta Elzbietas Jacke eingenäht zu werden.
    Am frühen Vormittag zogen sie los. Jurgis hatte ihnen so viele Verhaltensregeln gegeben und vor so vielen Gefahren gewarnt, daß die Frauen vor lauter Bangigkeit ganz blaß waren, und selbst der sich als abgebrühter Geschäftsmann vorkommende Jokubas konnte sich eines mulmigen Gefühls nicht erwehren. Der Makler hatte den Vertrag unterschriftsbereit; er forderte sie auf, Platz zu nehmen und ihn durchzulesen. Jokubas begann damit – eine mühselige und langwierige Prozedur, während der Makler mit den Fingern auf die Schreibtischplatte trommelte. Teta Elzbieta war es so peinlich, daß ihr Schweißperlen auf die Stirn traten, denn bedeutete dieses Lesen nicht dasselbe, als würde man dem feinen Herrn offen ins Gesicht sagen, daß man an seiner Ehrlichkeit zweifle?

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