Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
nächtlichen Träume, die ihm den Schlaf raubten. Vor Jahren war es ihm noch wie ein lohnendes Geschäft erschienen. Er hatte auf den großen Reichtum und die Anerkennung seiner Auftraggeber gehofft. Hatte von einem Leben geträumt, wie es die Adligen und reichen Kaufleute führten. Doch im Laufe der Jahre war ihm bewusst geworden, dass es weder Anerkennung noch Reichtümer gab. Stand man auf der Verliererseite, ging man, wenn es gut lief, nur leer aus, kam aber mit dem Leben davon. Gehörte man zu den Siegern, gab es tausend Gründe, warum der Sold gekürzt wurde und man gerade so viel behielt, wie man zum Auskurieren seiner Wunden und zum Leben brauchte.
Er hatte versucht, das alles hinter sich zu lassen, und selbst die Aussicht auf ein Leben in Armut hatte ihn nicht abschrecken können. Alles, was er gewollt hatte, war eine liebende, fürsorgliche Frau, ein paar Kinder, und wenn es so weit war, ein friedlicher Tod auf dem Sterbebett sowie ein paar Menschen, die um ihn trauerten.
Doch anscheinend war selbst dies zu viel verlangt. Jetzt fand er sich erneut in einem Krieg wieder. Und um es noch schlimmer zu machen als vorher, folgte er nun einer Gruppe von Denkern und Poeten, die nicht die geringste Ahnung davon hatte, auf was siesich einließ. Über einen möglichen Sold wollte er erst gar nicht nachdenken.
Mehrere Leute eilten an dem Kellerfenster vorbei. Dorn sah nur ihre Beine. Pluderhosen aus dünnem Stoff, weiche lederne Spitzschuhe oder einfache Sandalen. Diese Menschen waren nicht vorbereitet auf das, was ihnen bevorstand.
»Hier bist du, Dorn. Ich habe dich gesucht.«
Senethas leise Schritte passten zu ihrer lieblichen Stimme.
Dorn brummte nur argwöhnisch, weil er wusste, dass sie gleich versuchen würde, ihn davon zu überzeugen, dass es richtig war, was sie taten.
»Was machst du hier, so allein im Dunkeln?«
»Darauf hoffen, dass dieser Spuk an mir vorüberzieht«, gestand er.
Senetha drückte sich von hinten an ihn und schlang die Arme um seinen muskulösen Körper. »Du willst das alles hier nicht, ich kann das verstehen.«
Dorn löste sich aus ihrer Umarmung und drehte sich zu ihr um. Von oben sah er auf sie herab. »Ich will dich«, gestand Dorn.
»Dann hilf ihnen bei ihrer Revolution. Wenn sie sich gegen die Regorianer behaupten können und das Joch, unter dem wir leben, zerschlagen wird, sind wir frei. Wir haben das erste Blut vergossen. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als zu beweisen, dass wir im Recht waren. Und Recht bekommen nur die Gewinner. Also hilf ihnen.«
»Das habe ich doch«, sagte Dorn ruppig.
Senetha schüttelte den Kopf.
»Nein, das hast du nicht. Sie haben dich gebeten, ihnen zu zeigen, wie man sich verteidigt, wie man kämpft. Statt diese Bitte zu erfüllen, hast du auf sechs Männer gezeigt und ihnen prophezeit, dass sie abgeschlachtet werden, wenn sie sich mit einer Waffe auf die Straße trauen.«
Dorn grunzte abfällig.
»Na und, das ist die Wahrheit. Hast du dir die Bengel mal angesehen. Das Jüngelchen mit dem Blondschopf hielt sein Schwert, als ob er eine Kuhherde damit auf die Weide treiben wollte, und der Kleine mit der Hakennase hatte kaum genug Kraft, um sein Schild hochzuhalten. Auf den Alten mit dem lahmen Bein will ich erst gar nicht zu sprechen kommen.«
»Sie sind vielleicht nicht gerade ein Heer von Kriegern, aber sie haben Mut. Mach ihnen das nicht kaputt. Geh mit ihnen dort raus und zeige ihnen, dass es sich lohnt, sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen. Die Sache, für die sie kämpfen, ist eine gute Sache.«
»Die Sache, für die sie sterben werden, meinst du«, erinnerte sie Dorn.
»Von mir aus auch das, aber dann hilf ihnen, dass sie es nicht teurer bezahlen als unbedingt nötig.«
Dorn drehte sich wieder dem Kellerfenster zu und beobachtete erneut die Straße.
»Sie sollten den Preis kennen, den sie für ihre Revolution zahlen«, brummte er. »Sieh es dir an, sie kritzeln ihr Zeichen auf jede Tür und jedes Stück freie Mauer, ohne zu wissen, was es überhaupt bedeutet.« Dorn deutet auf das Zeichen an der gegenüberliegenden Hauswand. Es war das gleiche Symbol wie auf dem Medaillon, das sie in der Grabstätte gefunden hatten, und das Schuld an ihrer jetzigen Misere war. »Trotzdem führen sie es wie ein Banner in den Krieg.«
»Sie wissen, dass es den Regorianern missfällt«, erklärte Senetha. »Das reicht für den Moment aus. Wichtig ist nicht, wofür das Symbol einst stand, sondern was sie jetzt damit verbinden.«
Das
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