Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
fragte sich, wie das passiert sein mochte, und verspürte gleichzeitig den unbändigen Drang, zu einer Schere zu greifen und blindlings auf das Porträt einzustechen.
»Wollen wir aufs Dach hinaufgehen?«, fragte Heath, der ihre Anspannung bemerkte.
»Aufs Dach?« Abbey sah ihn verständnislos an. »Wozu?«
»Von dort oben hat man einen herrlichen Blick, und meistens weht ein angenehmes Lüftchen.«
»Oh. Ja, gern, warum nicht.« Abbey warf einen letzten flüchtigen Blick auf Ebenezers Bildnis und schauderte vor Abscheu.
»Wir sind gleich wieder da, Pater John«, sagte Heath zu dem Geistlichen, der seinen Brandy schlürfte und interessiert die Kunstgegenstände im Zimmer betrachtete.
»Ja, ja, lasst euch Zeit«, murmelte der Pater, den Blick auf einige außergewöhnliche Objekte von den pazifischen Inseln geheftet.
Abbey folgte Heath aus dem Zimmer und drei Treppen hinauf zum Dach. Er hatte Recht gehabt: Hier oben wehte eine erfrischende Brise. Abbey trat ans Geländer und bewunderte die einmalig schöne Aussicht. Noch nie in ihrem Leben war sie so hoch oben gewesen. Sie hatte das Gefühl, es den Falken gleichtun und fliegen zu können. Sie drehte sich langsam einmal um die eigene Achse. In jeder Richtung konnte sie meilenweit sehen.
»Fast alles, was Sie von hier aus sehen, gehört zu Martindale«, sagte Heath stolz. Wie oft hatte er von dem Tag geträumt, an dem er hier oben stehen und sich sagen könnte, dass das alles ihm gehörte. Mit äußerster Anstrengung unterdrückte er seinen Zorn auf Abbey und seinen Hass auf seinen Vater.
Abbey, den Blick in die Ferne gerichtet, war immer noch in ehrfürchtiges Staunen versunken. Eine geschlagene Minute verstrich, ehe ihr auffiel, dass Heath ungewöhnlich still war. Sie drehte sich zu ihm um. Er schaute über das Geländer senkrecht in die Tiefe, ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Abbey konnte nicht wissen, dass er an seine letzte Begegnung mit Meredith dachte. An dem Tag, als sie in die Tiefe stürzte, war sie nicht allein auf dem Dach gewesen. Sie hatte an der gleichen Stelle gestanden, an der Abbey jetzt stand, und sie hatten sich wieder einmal fürchterlich gestritten.
»Heath?«, fragte Abbey leise. »Alles in Ordnung?« Clementines Bemerkungen über Heath’ Ruf kamen ihr plötzlich in den Sinn. Es fiel ihr schwer, ihn sich als gewissenlosen Schürzenjäger vorzustellen.
Er sah sie an, und auf einmal fühlte sie sich verletzlich, ohne zu begreifen, warum. »Es hat mich sehr bewegt, dass Sie heute hergekommen sind«, sagte er sanft. Er wirkte seltsam abwesend, als wäre er der Gegenwart entrückt.
Abbey hoffte, er zog keine falschen Schlüsse aus ihrem Besuch.
»Ich habe uns das ganze Picknick verdorben«, fuhr er fort. »Ich möchte es wiedergutmachen, wenn Sie erlauben.«
»Das ist wirklich nicht nötig«, erwiderte Abbey. Sie fand, es war an der Zeit, wieder hinunterzugehen.
»Darf ich Sie heute Abend zum Essen nach Clare einladen?«
Abbey zögerte. »Das ist sehr nett von Ihnen, Heath, aber ich kann mich nicht mit Ihnen treffen.« Sie sah ihm in die Augen.
Heath wurde blass. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Ist es wegen meinem Vater?« Er hielt mit einer Hand das Geländer so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
»Nein, ehrlich gesagt ist es Ihretwegen«, antwortete Abbey mit heftig pochendem Herzen.
»Meinetwegen! Aber wieso, was habe ich denn getan?«
Abbey spürte, dass sie jetzt nicht mehr zurückkonnte. »Nun ja, Ihr Ruf, was Frauen betrifft, ist nicht gerade der beste …«
»Das ist doch alles nur Gerede«, wehrte Heath ärgerlich ab.
»Dann ist also nichts dran an den Gerüchten, die über Sie in Umlauf sind?«
»Ich bin ledig und vermögend. Das bietet reichlich Stoff für Klatsch und Tratsch.«
»Eines verstehe ich nicht, Heath. Warum möchte jemand, der normalerweise in den besseren Kreisen verkehrt, mit mir zusammen sein?« Abbey konnte fast hören, wie ihr Vater einen gereizten Seufzer ausstieß. Wie oft hatte er sie gerügt, weil sie glaubte, für diesen oder jenen Mann nicht gut genug zu sein.
»Erstens verkehre ich keineswegs ausschließlich in den besseren Kreisen. Und zweitens sind Sie nicht nur wunderschön, sondern auch klug, liebenswürdig, rücksichtsvoll und einfühlsam … Habe ich etwas vergessen?« Er lächelte so entwaffnend und charmant er nur konnte.
Abbey ließen seine Schmeicheleien kalt. »Ich bin eine
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