Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
grausam, dass er Max nicht einmal eine Chance geben wollte.«
»Elias mag Ihnen herzlos erscheinen, aber dafür gibt es einen Grund.«
»Und der wäre?«, fragte Abbey neugierig.
»Elias wuchs in den Blue Mountains auf. Er war ungefähr zehn Jahre alt, als sein Vater ihm ein Fohlen anvertraute, dessen Mutter bei der Geburt gestorben war. Das Fohlen war schwach, Elias wachte Tag und Nacht bei ihm und zog es mit der Flasche auf. Er hing natürlich sehr an dem Pferd, die beiden waren praktisch unzertrennlich. Eines Morgens, er war vielleicht sechzehn, ritt er mit ihm aus. Es war ein kalter, nebliger Wintertag. Als sie durch die Berge galoppierten, rutschte das Pferd auf einem vereisten Hang aus und trat mit dem Vorderbein in ein Loch, das ein Wombat gegraben hatte. Pferd und Reiter stürzten. Elias hatte bloß ein paar Schrammen, aber das Pferd brach sich das Fesselgelenk, eine ganz üble Verletzung. Elias’ Vater wollte das Pferd sofort erschießen, um es von seinen Schmerzen zu erlösen, aber Elias bettelte, er solle es am Leben lassen. Er werde es wieder gesund pflegen, versprach er. Aber es gelang ihm nicht, die Verletzung war zu schlimm. Sein Vater zwang ihn, sein Pferd eigenhändig zu erschießen.«
Eine Träne kullerte Abbey über die Wange. »Warum hat er so etwas Unmenschliches von ihm verlangt?«
»Er fand, sein Sohn hatte das arme Tier viel zu lange leiden lassen, deshalb sollte er aus seinem Fehler lernen.«
Entsetzt über so viel Grausamkeit, sah Abbey Jack an.
»Es war eine verdammt harte Lektion für einen so jungen Burschen«, fuhr er fort. »Ich könnte mir denken, dass Elias sich vor seinem Vater zusammengenommen hat, aber er muss am Boden zerstört gewesen sein.«
Abbey war außer sich. »Wie kann ein Vater so gefühllos und grausam sein!«
»Nach allem, was ich gehört habe, muss er ein hartherziger Mensch gewesen sein. Jetzt wissen Sie, warum Elias so ist, wie er ist. Er hat aber auch eine andere Seite. Er zeigt sie nur nicht. Was ich besonders an ihm schätze, ist sein Umgang mit den Farmarbeitern. Alle respektieren ihn – die Achtung, die man einem Menschen entgegenbringt, gibt Aufschluss über seinen Charakter.«
»Das mag ja sein, aber ich finde es trotzdem unerträglich, dass er Max erschießen wollte«, murmelte Abbey, die sich immer noch in Jacks Arme schmiegte. In Anbetracht der Stunde, des schummrigen Lichts und der ungewöhnlichen Umstände fand sie nichts dabei, obwohl sich so etwas zwischen Arbeitgeber und Angestellter normalerweise nicht schickte.
»Ich glaube, er wollte mich nur schützen«, sagte Jack. »Er weiß, wie furchtbar es für mich wäre, wenn ich Max töten müsste.«
Daran hatte Abbey nicht gedacht. Sie schaute in Jacks dunkle Augen. »Du wirst ihn doch nicht erschießen, nicht wahr?« Das Du kam ihr wie selbstverständlich über die Lippen. »Wo er doch so tapfer war und sich mit seiner schweren Verletzung nach Hause geschleppt hat.« Die Vorstellung, wie der arme Max völlig verängstigt vor den Aborigines geflüchtet sein musste, trieb ihr abermals Tränen in die Augen.
Jack verlor sich in der blauen Tiefe ihrer schimmernden Augen. »Ich hoffe wirklich, dass mir das erspart bleibt, Abbey.« Er legte auch seinen anderen Arm um sie und zog sie mit sich ins Stroh hinunter, wo sie aneinandergeschmiegt liegen blieben. Jack machte die Augen zu. »Es war ein langer Tag. Und eine lange Nacht«, flüsterte er heiser.
Abbey betrachtete verstohlen sein Profil. Ihr gefiel, was sie sah: ein energisches Kinn, einen wohlgeformten Mund, sein Haar, das ihm jungenhaft in die Stirn fiel. Er sah verletzbar aus, aber äußerst attraktiv. Abbey hätte ihn stundenlang betrachten können.
In Neals Armen hatte sie sich nie so geborgen gefühlt, wie ihr in diesem Moment bewusst wurde. Zum ersten Mal verglich sie die beiden Männer miteinander. Sie schätzte, dass Jack keine zehn Jahre älter war als Neal, aber er kam ihr sehr viel erwachsener, sehr viel reifer vor. Im Gegensatz zu Neal, der früh gestorben und zum Zeitpunkt seines Todes seinen Weg noch nicht gefunden hatte, hatte Jack sein Ziel fest im Auge. Neal hatte kein leichtes Leben gehabt, aber Jack allem Anschein nach auch nicht. Obwohl sein Vater ihm mit der Pacht des Farmlands unter die Arme gegriffen hatte, hatte er sehr hart für seinen Erfolg gearbeitet. Er hatte kluge Entscheidungen getroffen, aber auch große Risiken auf sich genommen. Am meisten jedoch beeindruckte sie sein Mitgefühl; dieses tiefe Verständnis
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