Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
hoch. Hatten Winston und Alfie sie doch noch aufgespürt? Aber es waren Aborigines, die da vor ihr standen. Abbey stand langsam auf. Im Mondlicht erkannte sie die zwei Frauen aus der Gruppe, die zuvor am Feuer gesessen hatten. Was wollten sie von ihr? Würden sie sie bestrafen, weil sie ihnen ihr Essen weggenommen hatte? Würden sie sie womöglich töten?
»Es tut mir leid, dass ich das Fleisch genommen habe«, wimmerte sie, außer sich vor Angst. »Ich war so schrecklich hungrig!«
Die Frauen berieten sich miteinander, in einer schnellen, abgehackten, lebhaften Sprache. Abbey vermutete, dass sie beredeten, was sie mit ihr machen sollten.
»Bitte tut mir nichts!«, jammerte sie. Sie war mit ihrer Kraft am Ende, zu viel war in den letzten Tagen und Stunden auf sie eingestürmt. Ihre Knie gaben nach, und sie sank schlaff zu Boden.
Die Frauen verstummten. Eine von ihnen kniete sich neben Abbey und betastete die Beule an ihrem Kopf. Abbey hielt die Augen einen Moment fest geschlossen und hörte, wie die Frau in monotonen Singsang verfiel. Dann öffnete sie ihre Augen wieder. Die Aborigine entnahm einer um ihre Taille gebundenen Tasche aus geflochtenen Gräsern ein Pulver, zerstoßene Knochen, wie es schien, das sie über Abbey stäubte. Diese ließ es über sich ergehen. Sie war völlig ausgelaugt, körperlich und seelisch, und hatte nicht mehr die Kraft, sich zur Wehr zu setzen. Sie wollte nichts weiter, als ihren Dad und Neal und ihr altes Leben zurückhaben, so wie es noch vor wenigen Tagen gewesen war.
Am nächsten Morgen wurde Abbey von der Sonne geweckt. Fliegen summten vor ihrem Gesicht herum. Langsam schlug sie die Augen auf. Sie fühlte sich frisch und ausgeruht. Erst als sie den merkwürdigen Staub auf ihren Kleidern bemerkte, fiel ihr ihre Begegnung mit den Aborigines wieder ein. Stirnrunzelnd zerrieb sie ein bisschen von dem Pulver zwischen den Fingerspitzen. Was mochte das sein? Dann klopfte sie es sich von ihren Sachen. Wäre dieses staubähnliche Zeug nicht gewesen, hätte Abbey geglaubt zu träumen. Sie schaute auf. Die Sonne stand noch nicht allzu hoch am östlichen Himmel. Abbey sprang auf die Füße und machte sich in Richtung Nordosten auf den Weg.
5
»Mutter, eine dieser jungen Frauen wird doch wohl als Gesellschafterin infrage kommen! Ich finde, sie sind alle gleichermaßen für diese Stelle geeignet.« Ein leicht gereizter Unterton schwang in Jack Hawkers Stimme. Seit einer Stunde saß er mit seiner Mutter im Büro von Sharps Arbeitsvermittlung, aber Sybil fand an jeder Frau, die Milton Sharp in seinen Unterlagen führte, etwas auszusetzen.
»Nicht eine Einzige interessiert sich offenbar für Musik oder Theater, und sie sind alle noch so furchtbar jung«, nörgelte Sybil. »Von einer Gesellschafterin erwarte ich, dass sie meine Interessen teilt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Worüber soll ich mich denn sonst mit ihr unterhalten? Wir haben schon zwei von diesen blutjungen Dingern im Haus, die zusammen höchstens ein Gehirn haben. Du weißt doch, wie sehr mir die beiden auf die Nerven gehen.« Sie sprach von ihren Dienstmädchen.
»Das ist nicht nett, was du da über Elsa und Marie sagst, Mutter«, tadelte Jack. »Sie tun ihr Bestes. Und was diese Frauen hier angeht – woher willst du wissen, dass sie nichts von den schönen Künsten verstehen? Und falls es tatsächlich so ist, könntest du sie doch damit vertraut machen. Du hast im Theater immer mit jungen Frauen zusammengearbeitet. Es dürfte dir nicht schwerfallen, ihr Interesse dafür zu wecken.«
Sybil sah ihren Sohn zweifelnd an. »Die Mädchen, die ich in der Stadt unterrichtet habe, wünschten sich sehnlichst, Schauspielerin zu werden. Ich musste sie nicht erst dazu ermuntern, ich habe ihnen lediglich Hilfestellung gegeben.«
»Ich gebe zu, es ist schwer, sich an Hand dieser kurzen Lebensläufe ein Bild von jemandem zu machen«, warf Milton ein. »Aber wenn Sie eine dieser Frauen oder mehrere persönlich kennen lernen möchten, Mrs. Hawker, so lässt sich das sicher einrichten.«
»Ich glaube, das wäre reine Zeitverschwendung«, sagte Sybil geziert.
Jack verlor allmählich die Geduld. »Mutter, entscheide dich endlich! Du beklagst dich, dass du den ganzen Tag allein bist, weil ich auf der Farm so viel zu tun habe, also wäre irgendjemand doch sicherlich besser als niemand .«
»Wenn ich den ganzen Tag mit dieser Person verbringen soll, will ich mich auch angeregt mit ihr unterhalten
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