Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
aufs Ohr hauen, Mutter«, sagte Jack. »Ich muss morgen Früh gleich nach den neugeborenen Lämmern sehen.« Er stand auf, beugte sich zu Sybil hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Gute Nacht, mein Junge.«
»Nacht, Abbey«, sagte Jack. »Es war mir ein Vergnügen, Lügner-Poker von Ihnen zu lernen.«
Sie lächelte ihn strahlend an. »Das Vergnügen war ganz meinerseits. Gute Nacht, Mr. Hawker.«
Jack stapfte müde zur Treppe.
Abbey wandte sich Sybil zu. »Ich würde gern Canasta lernen, wenn Sie nicht zu müde sind, Mrs. Hawker. Oder möchten Sie lieber auch zu Bett gehen?« Sie war so aufgedreht, dass im Moment an Schlaf nicht zu denken war.
Erfreut über Abbeys Interesse, schüttelte Sybil den Kopf. »Nein, ich bin noch nicht müde, ich zeig’s Ihnen gerne«, sagte sie bereitwillig. Das war für sie der unterhaltsamste Abend seit langem.
Nach einer weiteren Stunde beschlossen die beiden Frauen, dass es für diesen Abend genug war.
»Sie sind mir doch nicht böse, weil ich Sabu, Elsa und Marie eingeladen habe, mit uns zu spielen?«, fragte Abbey, als sie gemeinsam nach oben gingen.
»Aber nein, mit mehreren Spielern macht es gleich viel mehr Spaß.« Sybil allerdings wäre nie auf die Idee gekommen, die drei zu fragen. »Das sollten wir bei Gelegenheit wiederholen.« Das war der erste Abend seit ihrer Ankunft in Bungaree, an dem sie sich wirklich glänzend unterhalten hatte. Und das hatte sie nur Abbey zu verdanken. »Besonders gefreut hat es mich, dass Jack mitgespielt hat.«
»Ja, er hat gleich gefragt, ob er sich zu uns setzen darf.«
»Im Ernst?« Sybil sah sie verwundert an. »Ich habe ihn so oft gefragt, ob er nicht mit mir Karten spielen will, aber da hat er angeblich nie Zeit gehabt.«
»Wenn’s um Geld geht, wird kein Mann an einem Spieltisch vorbeigehen, das hab ich von meinem Vater gelernt. Männer lieben den Wettkampf von Natur aus, und wenn dann noch Geld im Spiel ist, kann keiner widerstehen.«
»Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht«, stimmte Sybil zu und dachte, dass Abbey lebenserfahren war für ihr Alter.
»Wir könnten ja einmal die Woche Karten spielen«, schlug Abbey vor.
Sybil nickte begeistert. »Das ist eine gute Idee!«
Als sie fast oben angekommen waren, verdüsterte sich Abbeys Miene plötzlich.
Sybil bemerkte es. »Was haben Sie denn?«
Abbey blieb stehen und sah sie an. »Ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil ich fröhlich bin und Spaß habe«, flüsterte sie, den Tränen nahe.
»Sie meinen, wegen Ihrem Vater und Ihrem Verlobten?«
Abbey nickte. Zwei Tränen liefen ihr über die Wangen.
Sybil berührte ihren Arm. »Die beiden würden bestimmt nicht wollen, dass Sie sich schuldig fühlen, Abbey.«
»Nein, wahrscheinlich nicht, Sie haben Recht.« Sie wischte sich die Tränen ab und ging weiter. »Sie würden sich für mich freuen, weil ich in Sicherheit und von so lieben Menschen aufgenommen worden bin.«
Sybil fand diese Worte ganz reizend. Sie spürte, dass es ehrlich gemeint war und keine Schmeichelei. Langsam folgte sie Abbey nach oben.
»Was machen wir morgen?«, fragte Abbey, als sie den oberen Flur erreicht hatten.
»Ich glaube, Clementine Feeble kommt zum Lunch.«
»Ist sie eine Freundin von Ihnen?«
»Nicht von mir, von Jack«, antwortete Sybil leise, weil sein Zimmer nicht weit weg war.
Abbey machte ein überraschtes Gesicht. »Sie meinen, sie ist seine Freundin?«
»So könnte man es nennen, ja. Die beiden kennen sich schon ziemlich lange, glaube ich, aber etwas Festes ist es erst vor einigen Monaten geworden.«
»Wie ist sie denn so, wenn ich fragen darf?«
Sybil dachte kurz nach. »Clementine ist schwer zu beschreiben. Aber wenn sie morgen kommt, können Sie sich ja selbst ein Urteil bilden.«
Hoffentlich ist sie nett, dachte Abbey. Sie fand, Jack hatte eine nette Frau verdient. Dennoch war es ein seltsames Gefühl, sich ihn mit einer Frau an seiner Seite vorzustellen. Das kommt sicher daher, weil ich niemanden mehr an meiner Seite habe, dachte sie traurig.
10
Vernon Mead nahm die Lammkoteletts vom Feuer und stellte sie beiseite. Der Appetit war ihm nach Heath Masons Besuch gründlich vergangen. Er verließ das Haus und machte sich auf den Weg zu Samuel McDougal, dem Bestattungsunternehmer. Dieser fuhr gerade mit dem Leichenwagen heran.
»Wen bringst du denn da?«, fragte Vernon stirnrunzelnd. »Hoffentlich nicht einen von meinen Patienten.« Auch wenn er aufrichtig hoffte, dass in der
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