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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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wenigstens joggte und sich in Fahrradsprints verausgabte. Daher hielt er beim Aufstieg spielend mit, wohingegen sie wie ein alter Kessel keuchte.
    Kurz unterhalb des Gipfelplateaus machten sie an einem Wasserfall Halt und tranken das klare Wasser aus der hohlen Hand.
    Carsten benetzte Gesicht und Nacken und sagte, wie gut ihm die Erfrischung tue. Seit sie sich in Apia getroffen hatten,
bemühte er sich, entspannt und fröhlich zu wirken, was, wie sie aus den mehr als fünfzehn Jahren ihres Zusammenlebens wusste, auf eine gegenteilige Gemütslage hindeutete.
    Er ist unsicher und verkrampft, dachte sie. Ich habe ihm neulich Abend Angst gemacht, und er spürt, dass ich nicht einfach nur mit ihm spazieren gehen will.
    Die Entscheidung zu diesem Ausflug hatte sie bereits letzte Nacht getroffen und nur noch das Morgengrauen und Moanas Bestattung abgewartet. Nach der Zeremonie und dem Gespräch am Grab hatte Ili müde und grüblerisch gewirkt, und außerdem hatte Evelyn angenommen, dass Ili diese letzten Stunden, die ihr bis zum Ablauf des Ultimatums blieben, im Papaya-Palast verbringen wollte. Daher wollte sie Ili mit dem Wagen nach Hause bringen und dann nach Apia fahren.
    Kaum hatten sie sich ins Auto gesetzt, sagte Evelyn: »Sicher möchten Sie allein sein. Ich werde ein wenig herumfahren. Vielleicht sehe ich mir die Pulemelei-Pyramide an oder die Lavafelder im Norden. Am Nachmittag bin ich dann wieder zurück.«
    Ili hatte jedoch an ihrem Kleid herumgefingert und erwidert: »Danke, Evelyn, aber es wäre mir lieber, Sie würden mich nach Salelologa fahren.«
    »Zum alten Ben?«
    »Nein, zur alten Fähre, bitte.« Dabei hatte sie auf eine nervöse Art gelächelt und hinzugefügt: »Ich habe noch etwas in Apia zu erledigen.«
    »Tja, ich eigentlich auch.«
    »Schön«, hatte Ili gesagt, »dann lassen Sie uns fahren.«
    Es war Evelyn ganz recht, dass Ili nicht genau sagte, wohin sie wollte, das enthob auch sie einer Erklärung. Sie wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen.
    Die Überfahrt war weniger schweigsam gewesen als gedacht.
Ili hatte geredet wie eine Fremdenführerin, ständig auf Upolu und Savaii gezeigt und irgendetwas erklärt. Erst als sich die Fähre dem Ziel genähert hatte, war Ili stiller geworden und hatte nur noch ein einziges Mal das Schweigen gebrochen.
    »Nicht wahr, ich hatte viel, viel Glück, gerade hier mein Leben verbracht zu haben und nicht anderswo?«
    »So ist es«, hatte Evelyn ehrlich bestätigt. »Sie gehören hierher.«
    Ili hatte sie mit gütigen Augen angesehen. »Und Sie auch, Evelyn. Das weiß ich.«
    Jetzt, als sie sich zusammen mit Carsten an der schattigen Wasserstelle erfrischte, gingen ihr Ilis letzte Worte noch einmal durch den Kopf und vermischten sich mit all den anderen Wahrheiten, die sie seit ihrem Eintreffen in Samoa erkannt hatte. Neulich Abend, im Ananas , war sie nach der Auseinandersetzung mit Carsten kurz davor gewesen, ihre Ehe über Bord zu werfen. Um ihn zu bestrafen wäre sie bereit gewesen, mit diesem Schritt auch sich selbst zu bestrafen, und damit wäre sie in einen Teufelskreis geraten. Ili hatte Recht gehabt. Man konnte mit Problemen nur auf dreierlei Weise umgehen: sie anpacken, ihnen erliegen oder mit kindlichem oder gefährlichem Trotz darauf reagieren. Evelyn hatte vor, sie anzupacken. Je nachdem, wie ihr Gespräch mit Carsten verliefe, würde sich ihr Leben in die eine oder andere Richtung verändern. Eines war jedoch schon jetzt klar: Es würde sich verändern. Es würde nicht länger stillstehen.
    Während er die Feldflasche auffüllte, sagte Carsten beiläufig: »Als du mich von Apia aus anriefst und ein Treffen vorschlugst, hatte ich keine Ahnung, dass wir einen Gipfel stürmen.«
    »Ich habe dir gesagt, dass ich dir etwas zeigen will.«
    »Und? Handelt es sich um eine schöne Quellnymphe, die
wie hingegossen auf den Wasserkaskaden liegt?« Er stemmte die Arme in die Hüften und lächelte auf jene Weise, die sie immer schon am meisten gemocht hatte – ein wenig frech und verlockend.
    Zugleich spürte sie jedoch seine Unruhe.
    »Nein«, sagte sie, ohne auf seinen scherzhaften Tonfall einzugehen – was ihn noch unruhiger machte. »Nein, ich will dir etwas anderes zeigen. Zuerst möchte ich dir allerdings etwas sagen. Es fällt mir nicht leicht, aber – es muss sein.«
    Er setzte sich wie ein folgsamer Schüler, wobei sein Blick gebannt auf ihr haften blieb.
    »Als ich beschloss, aus Frankfurt zu fliehen«, begann sie und lief langsam auf und ab,

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