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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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aber doch – das ist doch Betrug.«
    »Der Missionar sagt, nein.«
    »In den Augen der Kirche ist es natürlich kein Betrug, aber in den Augen des Gesetzes sehr wohl. Ich habe dir erzählt, dass es unter Strafe steht, wenn ein Deutscher eine Samoanerin heiratet.«
    »Nur, wenn es herauskommt. Aber ich schwöre, das wird nicht passieren. Meine Lippen werden verbunden sein. Nicht einmal Ivana weihe ich ein, nicht einmal meine Mutter. Außer dem Missionar, den beiden Kirchenfrauen und mir wird niemand je davon erfahren.«
    Tristan war bei dieser Sache nicht wohl. Wenn niemand je von der Hochzeit erfahren würde, wozu dann überhaupt heiraten? Tuila und er brauchten so etwas nicht, sie liebten sich auch ohne priesterlichen Segen. Andererseits hatte er immer darauf gewartet, dass Tupu ihm einen Schritt entgegenkam, nun konnte er seinerseits nicht stur auf seiner Position beharren! Tuila erwartete ein Kind von ihm, sie liebte ihn noch immer, und sie vertraute auf seine Liebe. Er durfte sie jetzt nicht enttäuschen, er durfte sie nicht der Obhut eines anderen Mannes überlassen und das Kind einer ungewissen, vielleicht sehr kurzen Zukunft aussetzen, einem elenden Tod, und das alles nur, weil er sich weigerte, dass ein Priester das Kreuz über ihnen schlug.
    »Dann aber noch heute Abend«, sagte Tristan. »Jetzt gleich.«

    Ein breites Grinsen zog sich über Tupus Gesicht. »Morgen Abend«, korrigierte er. »Heute ist Neumond. Da habe ich schon etwas vor.«
     
    In Neumondnächten schien es Tupu, als sei er, wenn er auf der Spitze der Pulemelei-Pyramide saß und auf seine Kameraden von den Mau wartete, den Sternen viel näher. Er konnte sie fast greifen, und manchmal streckte er tatsächlich die Hand nach ihnen aus. Hier oben war er frei, fast wie ein Vogel. Die Wipfel der Muskatbäume waren auf Augenhöhe mit ihm. Er konnte weit sehen, bis zum endlosen Schatten des Meeres und die ganze Südküste entlang mit ihren Buchten und der schweren und lauten Brandung. Er wusste ungefähr, wo unter den Bäumen versteckt die Dörfer lagen, Palauli, Vailoa, Satupa’itea, Sili und Pataivai, er sah ihre Feuer, kleine verlorene Lichtpunkte im ewigen Schwarz wie ein Spiegelbild des Neumondhimmels.
    Vor den Geistern der unbetrauerten Toten fürchtete er sich nicht mehr. Längst war er ihr Diener geworden. Der nie ruhende Wind, rauschend und singend, der ihm hier oben durch die Haare wehte, als wolle er ihn emportragen, das waren ihre Klagen; sie wollten, dass dieses Samoa wieder den Samoanern gehörte. Die Feuer auf der Erde und die Sterne im Himmel, der Wind über dem Meer und die Bäche in den Bergen, das alles sollte nur Teil derer sein, die es schätzten und verehrten, liebten und achteten. Die Geister des Waldes erhoben ihre Stimme zu Tupu. Sie forderten von ihm, die Fremden und alles, was sie hierher gebracht hatten, zu hassen und zu vernichten, und sie verlangten, dass er dafür log und betrog und seine eigene Familie hingab, ja, sich selbst hingab, wenn es sein musste. Von allen Mau , die ihnen und nicht dem Christengott dienten, verlangten sie das.
    »Morgen bin ich der Schwager eines papalagi «, flüsterte
er in den Wind, damit die Geister es hörten. »Er wird mich schützen, weil er meine Schwester liebt, und meine Schwester liebt mich. Und wir teilen ein Geheimnis, der Fremde und ich. Nichts blendet stärker als die Liebe, und nichts bindet fester als ein gemeinsames Geheimnis. Ja, er gehört mir und meinen Kameraden – und damit gehört er euch.«
    Ein gewaltiges Singen hob an, eine Böe streichelte Tupus Körper, und er fühlte sich wieder wie ein Vogel über Samoa, dem Heiligen Land der Geister.
     
    Für Tuila war es wie ein schwereloser Traum. Der Missionar, ganz in Weiß mit gelber Schärpe, erteilte das eheliche Sakrament in der unverständlichen Sprache der Kirche. Neben ihr stand eine Nonne und lächelte sie die ganze Zeit über an, und die andere reichte dem Ordinarius feierlich alle Gegenstände, die er brauchte. Tristan, zu ihrer Rechten, hielt ihre Hand. Seine Augen glänzten, doch er versuchte, es vor allen zu verbergen, indem er jedermanns Blick mied und zu Boden sah, auf den Sand hinter der Missionsstation von Pataivai.
    Tuila selbst fühlte sich wach und klar wie nie zuvor. Alle Sorgen, die sie sich gemacht hatte, seit sie Tristan kannte, alle Trauer seit ihrer Trennung, alle Verzweiflung, seit sie wusste, dass sie ein Kind erwartete von dem Mann, den sie liebte, aber nicht besitzen durfte, waren

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