Der Duft der Mondblume
wunderschönen Rahmen die Sepiafotografie einer einstigen hawaiianischen Prinzessin.
»Offenbar sind alle Hütten nach Mitgliedern des hawaiianischen Königshauses benannt«, meinte Bradley. »Mrs.Lang liegen die alten Bräuche offenbar ebenso am Herzen wie die Architektur.«
»Dann lass uns heute Abend zu der Fackelzeremonie gehen«, bat Catherine.
Eleanor Lang begrüßte ihre Gäste bei Sonnenuntergang in einem farbenfrohen Muumuu und mit einem frischen Lei um den Hals. Man reichte ihnen kostenlosen Fruchtsaft oder alternativ den Cocktail des Tages, dann wurde die Gruppe von der Terrasse auf einen Pfad zwischen künstlich angelegten Teichen geführt, von denen einer in den anderen überging. Schließlich durften sie auf Stühlen am Rand eines Wäldchens bereits abgeernteter Kokospalmen Platz nehmen.
Catherine und Bradley unterhielten sich mit einigen anderen Gästen, von denen viele zum wiederholten Male hier waren. Alle schworen, dass es in der ganzen hawaiianischen Inselwelt kein vergleichbares Plätzchen gäbe, was allein Eleanor zu verdanken sei.
»Was ist mit ihrem Mann?«, erkundigte sich Catherine.
»Kaum hatten sie Palm Grove erworben, ist er ganz plötzlich verstorben. Das ist jetzt etwa zwanzig Jahre her. Es war damals ein heruntergekommenes altes Hotel, Eleanor hat es umgebaut. Es ist ihr Ein und Alles«, vertraute ihr eine der Frauen an.
Catherine bedauerte, dass sie ihren kleinen Fotoapparat nicht eingesteckt hatte. Die zwischen den Kokospalmen durchscheinenden letzten Sonnenstrahlen ließen die Teiche an manchen Stellen schimmern wie flüssiges Gold.
Als plötzlich ein Holzkanu von einem fernen Teich auftauchte, wurden alle mucksmäuschenstill. Der große, gut gebaute Hawaiianer, der in der Mitte des Kanus stand, trug einen rot-orangefarbenen Umhang über den nackten Schultern und einen kurzen roten Lavalava um die Hüfte. Auf seinem Kopf thronte ein raffinierter Federschmuck, in der Hand hielt er das Gehäuse einer großen Trompetenschnecke – ein Muschelhorn.
Der alte Mann, der paddelte, trug nur einen Lavalava und einen Lei aus Muschelschalen. Catherine hatte ihn schon nachmittags gesehen, da hatte er sich um den Garten gekümmert. Er steuerte das Kanu in die Mitte des Teichs, brachte es dort zum Stehen und achtete sorgfältig auf die Balance, während der andere Mann sich hoch aufrichtete, das Muschelhorn an die Lippen hob und einen langen, tiefen Ton blies. Der Klang hallte im Halbdunkel zwischen den Kokospalmen wider, dann folgte ein noch eindringlicherer Ruf.
Zwischen den Palmen flackerten Lichter auf, die Gäste begannen zu murmeln. Und da ertönte über Lautsprecher die Stimme Eleanors, die auf der Terrasse geblieben war.
»Wenn die Sonne dem Tag entgleitet und die Sterne der Nacht willkommen heißt, freuen wir uns, weil der Tag zu Ende geht und der Mond seine Geister freigibt. Es sind dies die Geister vergangener Tage, sie schützen und bewachen das Land, seine Geschöpfe und alle, die hier Zuflucht genommen haben. Genießen Sie diesen besonderen Flecken von Kauai wie jeder, der an der Fülle und Schönheit dieses Ortes teilhaben durfte, der einst ein Reich mit Königen und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen war und den wir heute unter dem Namen Palm Grove kennen.«
Trommelschläge erklangen, und zwischen den Palmen traten zwei junge, schlanke Männer mit nacktem Oberkörper und brauner Haut hervor. Beide trugen eine lodernde Fackel und eilten damit zwischen die Bäume und entlang am Kanal und an den Teichen bis hinauf zur Hotelterrasse. Dabei entzündeten sie die Fackeln, die überall im Boden steckten. Binnen Minuten hatte sich die Anlage in ein funkelndes Märchenland verwandelt. Trommelwirbel – und die Läufer, die Trommler, das Kanu mit dem heroischen Bläser waren verschwunden. Später würden sie den Gästen als Kellner, Pagen und Gärtner wiederbegegnen.
»Ja, das war ziemlich spektakulär«, räumte Bradley ein, als sich alle erhoben und zum Aperitif ins Hauptgebäude oder in einen anderen Teil der Anlage gingen.
»Lass uns einen Spaziergang um die Teiche machen. Es sieht so hübsch aus«, schlug Catherine vor, die den Zauber der kurzen Zeremonie, die sie stark berührt hatte, nachklingen lassen wollte. Auch war ihr nicht nach Smalltalk mit Fremden zumute.
Sie schlenderten tief in das Palmenwäldchen hinein und sahen im letzten Dämmerlicht, dass an vielen Stämmen unten Plaketten angebracht waren. Die alten Bäume waren sehr hoch, andere noch jung und erst
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