Der Duft der Rose
für die Gäste. Und der Unterschied zu den mehr oder weniger originellen Orgien, die es landauf, landab überall gibt.«
Henri nickte. »Richtig. Ich werde Madame Dessante schreiben. Vielleicht kann sie uns jemanden schicken. Schließlich stand Beatrice, unsere erste Zeremonienmeisterin, ja ursprünglich auch in ihren Diensten.«
Vincent faltete das beschriebene Blatt sorgfältig zusammen. »Gut. Im Gegensatz zur Frau deiner Träume sollte es doch wohl ein Kinderspiel sein, eine Zeremonienmeisterin für lustvolle Nächte zu finden.«
6
Ghislaine schlief zusehends schlechter. Nacht für Nacht suchten Albträume sie heim. Sie sah sich wieder und wieder an Justin de Rossacs Wiege stehen, mit dem Kissen in der Hand. Einmal drückte sie es ihm aufs Gesicht, bis sein Schreien in einem heiseren Röcheln erstarb. Ein anderes Mal stand Tris neben der Wiege und blickte sie vorwurfsvoll an, ehe er seinen Neffen hochhob und mit ihm aus dem Zimmer ging. Dann war plötzlich Nicholas Levec da, der ihr das Kissen aus der Hand nahm und mit einem bösen Lächeln sagte: »Wie skrupellos seid Ihr, Madame la Comtesse?«
Sie fuhr schreiend auf, das Nachthemd klebte ihr am Körper und eine Haarsträhne auf ihrer feuchten Wange. Zitternd griff sie nach dem Krug auf dem Nachtschränkchen und goss sich ein Glas Wasser ein. Schluck für Schluck trank sie davon und versuchte, sich zu beruhigen. Nichts davon war passiert. Sie hatte keinen Mord an einem unschuldigen Kind auf ihre Seele geladen. Und alles andere war unwichtig. UNWICHTIG.
Wie ein Gebet murmelte sie diese Worte immer wieder vor sich hin. Irgendwann erfüllten sie ihren Zweck, und Ghislaine schlief wieder ein. Diesmal träumte sie von Henri. Sie ging mit ihm gemeinsam durch die Gartenanlagen von Belletoile. Schließlich kamen sie auf dem Hügel an, auf dem der Diana-Pavillon stand. Von hier aus konnte man den gesamten Besitz überblicken. Als Kind war das ihr Lieblingsplatz gewesen. Hier hatte sie mit ihren Puppen gespielt und später heimlich aus der Bibliothek entnommene Romane gelesen. »Willst du wirklich, dass das alles an den König oder einen seiner Speichellecker fällt?«, fragte Henri mit einer weitausholenden Handbewegung. »Seit Generationen hat unsere Familie hier gelebt, geliebt und ist hier begraben. Soll das alles vorbei sein?«
Er sah sie mit seinen durchdringenden braunen Augen an, in denen so viel Schmerz lag, dass es ihr die Kehle zuschnürte. »Gott weiß, ich werde versuchen, einen Nachfolger zu zeugen. Und ich hoffe, Gott hat ein Einsehen und gewährt mir diesen Wunsch, obwohl ich seinen Namen nicht immer mit Ehrfurcht ausgesprochen habe.«
Sie wusste, was ihn dies kosten würde, denn sein Stolz und seine kompromisslose Haltung waren legendär. Der Verrat an seinen Prinzipien setzte ihm zu, aber vermutlich kannte außer ihr selbst niemand das ganze Ausmaß seiner Absicht.
Sie versuchte, nach ihm zu greifen, aber er löste sich vor ihren Augen auf, und an seiner Stelle erschien überraschend Nicholas Levec. Seine grünen Augen funkelten boshaft. »Wie skrupellos seid Ihr, Madame la Comtesse?« Er beugte sich zu ihr. »Oder wie verzweifelt?«
Fassungslos starrte sie ihn an und machte einen Schritt zurück. Sie strauchelte und fiel - ohne auf dem Boden aufzuschlagen. Sie fiel und fiel und fiel, bis sie mit weitausgebreiteten Armen auf dem Rücken liegend aufwachte.
Wie sollte das nur weitergehen? Sie hatte noch nie Albträume gehabt, nicht einmal als Tris Frankreich verlassen hatte. Ihr Schlaf war die einzige Oase gewesen, die ihr immer verlässlich Zuflucht geboten hatte. Doch nun schien es auch damit vorbei zu sein.
Sie rollte sich zusammen und versuchte, nicht daran zu denken, welche Probleme darauf warteten, von ihr gelöst zu werden.
Einige Tage später frühstückte Ghislaine mit Jacques auf der Terrasse des Speisesaals. Es war ein warmer Morgen, und nur ein paar duftige Wölkchen trieben über den blauen Himmel. »Heute werde ich mit Diabolo ausreiten. Gleich nach dem Frühstück. Laurent begleitet mich. Willst du nicht mitkommen?«
Ghislaine runzelte die Stirn. Den Luxus, auf einem Pferd über Land zu reiten, hatte sie sich schon lange nicht mehr gegönnt. Zu sehr war sie mit den Aufgaben einer Schlossherrin beschäftigt gewesen oder mit den Überlegungen, welcher Mann aus ihrem Bekanntenkreis sich als Vater ihres Kindes eignete. Ablenkung würde ihr guttun. »Ja, warum nicht«, sagte sie deshalb.
»Wirklich?« Jacques riss überrascht die
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