Der Duft der Rose
größere Formalitäten übereinander hergefallen. Mehr als einmal musste sie Mario und Stefano beruhigen, die durch den entstandenen Krawall wach geworden waren.
Sie wandte sich an Vincent: »Ihr müsst Euch keine Sorgen machen, meine Tugend wird keinen weiteren Schaden nehmen, egal, was in den Nächten der Aphrodite auch passiert. Und ich werde auch nicht schreiend in Ohnmacht fallen.«
Sie lächelte ihn an, aber er erwiderte das Lächeln nicht. Stattdessen verbeugte er sich steif. »Dann lasst uns gehen.«
Der Herzog führte sie durch die langen Gänge des Schlosses zum Ballsaal. Durch die geschlossenen Türen drang leise Musik zu ihnen. Sophie war völlig unvoreingenommen. Doch als Vincent die Klinke nach unten drückte und sie den Saal betraten, brauchte sie einige Momente, um den sich ihr bietenden Anblick zu verdauen. Keine zwei Meter von ihr entfernt vollführten vier Paare ein Menuett, nackt wie Gott sie geschaffen hatte. Die unternehmungslustig aufgerichteten Ruten der Männer ließen keinen Zweifel daran, dass sie das Ende des Musikstücks kaum erwarten konnten.
Auf den Sofas und Canapés vergnügten sich mehr oder weniger bekleidete Männer und Frauen in Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen unterschiedlicher Zusammenstellung. Wollüstiges Stöhnen und abgehackte Schreie untermalten die Aktivitäten. Sophie ließ ihren Blick weiterwandern. Das Kammerorchester, bestehend aus fünf livrierten Männern, war in einer Ecke des Saales untergebracht und spielte ungerührt vom Blatt. Als sie das Menuett beendeten, sanken die Tänzerinnen in einen Knicks und befanden sich damit in Augenhöhe mit der Erektion ihrer Partner, die diese Tatsache schamlos ausnutzten, indem sie in die willig geöffneten Münder stießen. Die Frauen machten eine Weile mit, dann jedoch standen sie nacheinander auf und entfernten sich mit schwingenden Hüften, um die Männer zu anderen Spielwiesen zu locken.
Sophie rieb unbewusst ihre Oberarme. Der einzige Unterschied zu den Orgien im Atelier von Florenz bestand in der hohen Anzahl der Beteiligten und dem prunkvollen Ambiente. Langsam schlenderte sie zum anderen Ende des Saals und merkte, dass ihr der Herzog mit Vincent folgte. Ob das der Grund dafür war, dass niemand sie ansprach, oder ob es an dem weißen Anstecktüchlein lag, konnte sie nicht sagen. Sie nahm ein Champagnerglas von einem bereitstehenden Tablett und lehnte sich an eine Marmorsäule, um die Geschehnisse von hier aus weiter zu beobachten.
Ein schmaler Tisch war von der Wand weggerückt worden und stand frei im Raum. Um ihn herum warteten mehrere Männer und Frauen, die entweder nackt waren oder nur mehr sehr aufwendig gearbeitete Korsetts trugen. Sie alle blickten zum Kammerorchester, und auch Sophie wandte den Kopf, um zu sehen, was es dort gab. Ein hochgewachsener Mann kam mit einem der Geiger auf sie zu. Das Stakkato der Absätze seiner schwarzen Stiefel auf dem hellen Marmor hallte wie Pistolenschüsse im Raum. Dabei hatte er es gar nicht nötig, auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen, denn die Blicke der Anwesenden hingen ohnehin an ihm. Die langen Beine steckten in hautengem schwarzen Leder, und sein Oberkörper wurde von einem weinroten Seidenhemd verhüllt, das an der Brust und an den Manschetten verschwenderisch mit gleichfarbiger duftiger Spitze verziert war. Einem anderen Mann hätte dieses Hemd einen weibischen Anstrich verliehen, an ihm jedoch erweckte es den Wunsch, es ihm vom Leib zu reißen, um die Haut darunter zu berühren. Als er an ihr vorbeiging, hielt Sophie unwillkürlich den Atem an. Trotz der straff aus dem Gesicht genommenen und zu einem glänzenden Zopf geflochtenen ebenholzfarbenen Haare erkannte sie ihn als den Mann, der mit dem Herzog und Vincent am Tisch gesessen hatte, als sie auf Belletoile angekommen war.
Das musste der angekündigte Zeremonienmeister sein, Farid Bejaht. Unwillkürlich huschte ihr Blick zum Herzog, dessen Augen dem Mann ebenso gebannt folgten wie die der wartenden Frauen.
Er blieb neben dem Tisch stehen und musterte die Runde. Mit einem kaum merklichen Nicken grüßte er den Herzog, weder Vincent noch ihr selbst schenkte er einen Blick, was Sophie unwillkürlich erleichterte.
»Ich danke für Ihre Geduld, Mesdames, Messieurs. Nun kann das Spiel beginnen.« Seine Stimme besaß ein volles Timbre, das an Sophies Wirbelsäule entlanglief wie ein Tropfen Honig. Unwillkürlich ballte sie die Hände und versteckte die Fäuste in den Falten ihres Kleides. Sie würde
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