Der Duft der Rose
irgendwann Ghislaines Seifenmanufaktur stehen sollte. Seit drei Tagen waren die Männer damit beschäftigt, die Fläche zu roden und die Zufahrt zu ebnen. In der nächsten Woche wollte Didier Farigoule, der Baumeister, persönlich den Beginn der Bauarbeiten überwachen. Im Augenblick lief alles nach Plan.
Er ließ die Hand sinken und blickte dem Reiter entgegen, der auf den Platz zuhielt. Mit schwindender Entfernung erkannte er Ghislaine auf Hermes. Er hatte sie zum letzten Mal zwei Tage zuvor gesehen, als sie ihm den Brief des Baumeisters gezeigt hatte.
Obwohl er ihr den Schlüssel zum Verwalterhaus gegeben hatte, benutzte sie ihn nicht. Die Sache mit dem Schlüssel hatte ihm mehr zugesetzt, als ihm lieb war. Denn es ging nicht darum, die paar Habseligkeiten vor Dieben zu schützen, sondern ihm einen Bereich zu verschaffen, über den nur er verfügen konnte. Ghislaine war sich dessen bewusst, und das zeugte von einer Feinfühligkeit, die ihm ein weiteres Stück Respekt abnötigte. Wie hatte er Ghislaine jemals für oberflächlich und gedankenlos halten können?
Wenn sie zu ihm kam, wartete sie immer, bis er ihr öffnete. War er nicht da, saß sie auf der Bank vor dem Haus. Er verstand nicht so ganz, warum sie nicht einfach den Schlüssel benutzte, und nahm an, dass es um die Distanz zwischen ihnen ging, auf die sie offenbar bei aller Intimität großen Wert legte. Sie blieb auch niemals die ganze Nacht, sondern ging jedes Mal wieder zurück ins Schloss. Er hatte angefangen, sie zu begleiten, da er nicht wollte, dass sie nach Mitternacht allein durch die Dunkelheit streifte. Dann gingen sie schweigend nebeneinander, als wären sie Fremde. Beim Schloss küsste sie ihn zum Abschied mit spitzen Lippen und verschwand hinter den Mauern.
Immer mehr erschienen ihm die Stunden, in denen sie sich hemmungslos liebten, wie ein Bereich außerhalb der alltäglichen Wirklichkeit. Ghislaine in ihren schlichten, zweckmäßigen Kleidern, die Pläne schmiedete und mathematische Berechnungen erstellte, hatte nichts zu tun mit der wollüstigen, leidenschaftlichen Frau in seinen Armen. Als wären sie zwei verschiedene Personen. Aber er wollte über diese Dinge nicht nachgrübeln, ebenso wenig wie über die Gründe, die sie beinahe zur Mörderin eines Säuglings hatten werden lassen. Jeder Mensch hatte Geheimnisse, und meist war es besser, nicht daran zu rühren, wie er aus erster Hand wusste.
Er ging ihr entgegen und half ihr beim Absteigen. Der Hauch des Rosendufts allein genügte, um seinen Unterleib zum Leben zu erwecken.
»Comtesse«, sagte er ruhig, weil er nicht wusste, wie er ihr Erscheinen deuten sollte. »Wie schön, Euch zu sehen. Wollt Ihr Euch vom Fortschritt des Unternehmens überzeugen?«
»Nein. Ich habe ein kleines Picknick zusammenstellen lassen. Es ist Mittag, falls es Euch noch nicht aufgefallen ist.« Sie lächelte ihn an und deutete auf einen Korb, der am Sattel befestigt war. »Ihr könnt Euch doch ein Stündchen freinehmen?«
»Natürlich.« Er löste den Korb vom Sattel und griff nach den Zügeln des Pferdes. »Wollen wir uns in den Schatten des Baums dort drüben setzen?«
Sie nickte und ging neben ihm, als er das Pferd führte. Während er es an einem Ast festband, breitete sie eine Decke aus und klappte den Deckel des Korbs hoch. Nicholas setzte sich ihr gegenüber und betrachtete einigermaßen fassungslos, wie sie zierliche Porzellanteller samt silberner Gabeln auf die Decke legte. Sie reichte ihm eine Flasche Wein und einen Korkenzieher, ehe sie eine Platte mit kaltem Braten, ein Döschen mit Butter und ein Einmachglas mit Pastete aus dem Korb nahm. Zwei Porzellanförmchen mit Creme Caramel und eine Schüssel mit blauen Trauben folgten, ehe sie zwei in feuchte Tücher gewickelte Käsestücke ans Tageslicht beförderte.
Er reichte ihr die geöffnete Flasche und biss sich auf die Lippen, um den beim Anblick des kleinen Picknicks in ihm aufsteigenden Kommentar nicht laut auszusprechen. Aber als sie zwei Kristallkelche für den Wein auf die Decke stellte, konnte er sich nicht länger zurückhalten. »Ist das nicht etwas ... dekadent?«
Ghislaine bestrich ein Stück Weißbrot mit Butter. »Die Trauben, meint Ihr? Nun, es gibt ein Gewächshaus im Schlosspark, wenn es auch nicht so groß ist wie das auf Belletoile. Deshalb können wir schon jetzt Trauben essen.« Ihre Stimme klang völlig ernst, aber als er ihr in die Augen sah, bemerkte er den Schalk darin.
Sie legte das bestrichene Brot auf einen
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