Der Duft der roten Akazie
Adam.« Ella fand, dass ihre Stimme sich fremd und heiser anhörte.
»Es heißt, der Kerl sei nicht ganz richtig im Kopf. In Carlsruhe hat er einen Mann mit seinem Pferd niedergeritten. Das sagen wenigstens die Leute. Der arme Teufel hat ihm Widerworte gegeben, und da hat Moggs ihn einfach zertrampelt. Wahrscheinlich, um sich die Kugel zu sparen.«
Ella durchlief ein Schauder. Sie schaute in der Dunkelheit zu dem großen grauen Fellhaufen hinüber, der einmal Wolf gewesen war. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie ging hin, um den schon kalt werdenden Körper zu berühren. Wolfs langes Fell bewegte sich in der Brise, doch er würde nie wieder schnuppernd den Kopf heben. »Armer alter Junge«, flüsterte sie und stieß dann verzweifelt hervor: »Oh Adam.«
»Ganz ruhig, mein Kind«, murmelte Mrs Jardine. »Naughton kümmert sich um den Hund. Er ist gestorben, weil er seinen Herrn beschützen wollte. Wenigstens war es ein Heldentod.«
Wahrscheinlich hatte sie recht, auch wenn Ella das im Moment nicht so sehen konnte. Sie wischte sich die Augen ab und blickte in Richtung Straße, die in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen war. »Ich muss Adam folgen. Ich darf ihn nicht mit diesem Mann allein lassen.«
»Sie können im Moment nichts tun«, entgegnete Mrs Jardine mit Nachdruck. »Sie würden sie gar nicht mehr einholen. Und wenn doch, würden Sie entweder von den Polizisten oder jemand anderem erschossen werden. Adam kann eine Nacht auf sich selbst aufpassen. Für ihn ist es wichtig, dass Sie morgen stark sind und ihm aus der Patsche helfen.«
Ella wusste, dass es besser war, auf sie zu hören, doch sie kam sich trotzdem vor wie eine Verräterin.
Mrs Jardine führte Ella den Hügel hinunter ins Kaffeehaus, wo einige mitfühlende Gäste vor der Tür warteten. Im Vorbeigehen flüsterte Mrs Jardine ihrem hünenhaften Mann etwas zu und begleitete Ella dann nach hinten, wo die Jardines ihr Privatzelt hatten.
Ella setzte sich auf die Kante eines stabil wirkenden Bettes, eher ein hölzernes Podest auf dicken, kurzen Beinen, das sich etwa eine Handbreit über dem Boden befand. Nachdem ihr Mrs Jardine einen Becher zwischen die klappernden Zähne gezwängt hatte, rieb sie Ella die Hände, der der Inhalt warm die Kehle hinunterrann.
»Falls er wegen unerlaubten Alkoholausschanks verurteilt wird, muss er fünfzig Pfund Strafe zahlen. Haben Sie so viel?«, fragte die dicke Frau in sachlichem Ton.
Ella überlegte. Das Geld. Das Geheimversteck. Hatte das Geld in dem Erdloch den Brand heil überstanden? Das Feuer war zwar heiß, aber schnell vorbei gewesen. War das Geld unversehrt? Bei dem Gedanken an das Geld fiel Ella noch etwas ein, und sie sah sich erschrocken um.
»Kitty?«
»Kitty wollte zu einem gewissen David in den Sailor’s Gully. Einer der Jungs hat sie hingebracht.«
Ella wollte aufstehen, setzte sich aber wieder. Es war zwecklos, sich Sorgen um Kitty zu machen. Offenbar kam sie gut allein zurecht. Wenn sie zu David gegangen war, hatte Ella ein Problem weniger, um das sie sich kümmern musste. Jetzt ging es darum, das Geld zu holen und die Buße zu bezahlen, damit Adam nicht nach Melbourne geschafft wurde, um die Strafe im Zuchthaus abzusitzen.
»Haben Sie das Geld?«, wiederholte Mrs Jardine.
Ella betrachtete sie. Die schwarzen Knopfaugen funkelten aufmerksam. Plötzlich fragte sie sich, ob Kitty nicht doch recht gehabt hatte. Konnte man Mrs Jardine trauen? Aber sie tat ihre Zweifel im nächsten Moment ab. Schließlich war ihr Mrs Jardine heute Abend zu Hilfe gekommen und die Güte in Person gewesen. Ella hatte keinen Grund, ihr gegenüber argwöhnisch zu sein.
»Ich habe ein bisschen Geld«, erwiderte sie. »Adam hat einen Teil ausgegeben. Ich bin nicht sicher, wie viel noch übrig ist.« Doch etwas hinderte sie daran, das Versteck zu verraten.
»Tja, ein bisschen ist besser als gar nichts«, meinte die raue Stimme beruhigend. »Legen Sie sich hin, mein Kind, und schlafen Sie ein wenig. Heute Nacht können Sie nichts mehr ausrichten. Ich wecke Sie, wenn Kitty zurückkommt.«
Das Getränk, das Mrs Jardine ihr eingeflößt hatte, sorgte dafür, dass sich ihr der Kopf drehte. Vielleicht handelte es sich um den berüchtigten selbst gebrannten Schnaps. Erleichtert legte sie sich hin. Das Kissen unter ihr roch leicht nach Lavendel, Rum und Tabak. Sie spürte, wie Mrs Jardine sich hochwuchtete und hinauswatschelte. Stimmen, Geflüster, Schritte, die sich entfernten. Dann herrschte Stille.
Eine Weile
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