Der Duft der roten Akazie
lag sie erschöpft da und versuchte, an gar nichts zu denken. Nur, dass die Gedanken dennoch da waren und sich an die Oberfläche kämpften. Sie dachte an Adam, der in der Dunkelheit hinter einem Polizeipferd hergezerrt wurde. Sie dachte daran, wie Moggs schneller und schneller ritt und lachte, wenn Adam stürzte. Sie dachte daran, wie Moggs seine Pistole zückte, Adam ins Visier nahm und abdrückte.
Als eine Hand sie an der Schulter berührte, fuhr sie mit einem Aufschrei und weit aufgerissenen Augen hoch. Die Kerze geriet ins Schwanken, sodass der Schein der Flamme über Kittys verängstigtem, mit Dreck verschmiertem Gesicht tanzte. Die beiden Frauen sahen einander an. Dann stellte Kitty mit zitternder Hand die Kerze weg und warf sich Ella in die Arme.
Bebend klammerten sie sich aneinander und waren zu müde und zu verängstigt, um zu weinen. »Ich war bei David«, sagte Kitty nach einer Weile. »Ich dachte, er könnte vielleicht helfen.«
»Warum war er nicht da, als wir zurückgekommen sind?«, erkundigte sich Ella. Sie hatte David ganz vergessen gehabt.
Kitty seufzte. »Ich habe ihn weggeschickt, weil er nicht mein Typ ist.«
Ella musste sich auf die Lippe beißen, um nicht loszulachen.
»Und weißt du, was er geantwortet hat, nachdem ich ihm alles erzählt habe?«, fuhr Kitty langsam und ein wenig triumphierend fort. »Er meinte, wenn mir etwas zustoßen sollte, würde er Moggs mit bloßen Händen umbringen.«
Ella drückte sie und ließ sie los. »Das Geld«, begann sie.
»David und ich haben nachgeschaut. Es ist unversehrt. David hat mir erklärt, es sei tief genug vergraben gewesen, und außerdem habe das Feuer nicht lange genug gedauert.«
Mit diesen Worten drückte Kitty ihr den schmutzigen Beutel in die Hand. Ella umfasste ihn fest, und vor Erleichterung traten ihr die Tränen in die Augen. Mühsam drängte sie sie zurück. »Wie viel ist es denn?«
Kitty überlegte. »Knapp fünfzig Pfund, glaube ich. Reicht das?«
Ella seufzte. »Keine Ahnung.« Mrs Jardine hatte von fünfzig Pfund gesprochen. Würden sie sich mit weniger zufriedengeben?
»Wir holen ihn raus, oder?«, flüsterte Kitty. Ihre blauen Augen wirkten im Kerzenlicht verzweifelt.
Ella nickte. »Ich gehe gleich morgen früh hin. Ist David noch da?«
Kitty wischte sich mit einer schmutzigen Hand über die nicht minder schmutzige Wange. »Ja, ist er. Er schläft in unserem Lager – oder dem, was davon übrig ist. Er meinte, vielleicht ist ja noch etwas zu retten, das niemand anderem in die Hände fallen sollte«, fuhr Kitty fort. »Mrs Jardine hat mir angeboten, heute Nacht in Naughtons Bett zu übernachten.« Sie verdrehte die Augen. »Ich kann es kaum erwarten.«
Ella konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Sie lauschte dem vertrauten Seufzen und Rascheln, als Kitty sich hinlegte. In der Dunkelheit war es fast, als wären sie wieder in ihrem Zelt. Die Nacht schleppte sich dahin. Ständig musste Ella daran denken, wie qualvoll sie erst für Adam sein musste.
»Sicher kriege ich kein Auge zu«, flüsterte sie.
Und dann war es Morgen.
Als Ella und David eintrafen, herrschte im Lager bereits geschäftiges Treiben. Es regnete leicht, und über allem lag ein Dunstschleier, sodass nur ab und an eine Fahne oder ein Reiter auszumachen waren. Die Hügel rings um Bendigo waren wolkenverhangen, was die Sicht zusätzlich verschlechterte.
Die Fahrt vom Midnight Gully war lang und beschwerlich gewesen, obwohl Naughton David Pferd und Wagen geliehen hatte. Der ständige Nieselregen durchweichte Ellas Kleider. Ihr Haar krauste sich, und ihr war kalt. Nicht einmal die Wut konnte sie wärmen, denn sie war einer grausigen Furcht gewichen, die ihr den Magen zusammenkrampfte.
»Bitte mach, dass ihm nichts geschehen ist«, flüsterte sie vor sich hin wie ein Stoßgebet. »Bitte mach, dass ihm nichts geschehen ist.«
Kitty hatte sie nicht begleitet, sondern war im Midnight Gully zurückgeblieben, um die Überreste von Zelt und Laden nach brauchbaren Gegenständen abzusuchen. Ella hatte sich gewundert, dass sie nicht darauf bestanden hatte mitzukommen, aber David beantwortete ihre unausgesprochene Frage.
»Sie hat Angst.«
Ich habe auch Angst, dachte Ella. Doch Adam braucht mich, und ich muss ihm beistehen.
Inzwischen war ihr klar, dass sie sich bisher nicht völlig auf diese Reise eingelassen und Adam auf Abstand gehalten hatte. Selbst beim Küssen hatte ein Teil von ihr stets von außen beobachtet und nur Augen für das eigene Schicksal
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