Der Duft Der Wüstenrose
einfach nicht mehr konnte. Dann erst gestattete ihr Zahaboo, aus einer Kalebasse Amasi zu trinken, das so ähnlich schmeckte wie die Omeire der Herero. Diese leicht geronnene Milch erfrischte Fanny je des Mal, sodass sie danach wieder hinter Zahaboo her humpeln konnte.
Als sich der Himmel an diesem Tag leuchtend rot zu verfärben begann, blieb Zahaboo endlich stehen. Sie hatten eine kleine Anhöhe erklommen, von der aus man weit über das flache Land schauen konnte. Nur am äußersten Rand wurde die Ebene von schwarzen Bergen begrenzt, deren Kuppen sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihten.
Zahaboo sah sich um, nickte befriedigt und wedelte mit dem glitzernden Gnuschwanzwedel durch die Luft. Dann sprach sie Worte, die Fanny nicht verstand, und forderte sie schließlich auf, mit den Händen einen Kreis um sich selbst herum in den Sand zu malen.
Fanny war sehr müde und wünschte sich nichts mehr, als sich hinlegen zu dürfen, aber Zahaboo hatte etwas Elektrisierendes an sich, und so beugte sich Fanny herunter und begann, ihre Hand durch den Sand zu ziehen. Was für ein weiter Weg vom Kloster in Reutberg bis hierher, dachte sie.
Fannys Hand stieß an einen Stein, der sich glatt wie Glas anfühlte. Sie zog ihn aus dem Sand und starrte ihn fasziniert an. Das war kein Kiesel oder Felsbrocken. Der Stein war durchsichtig wie ein Bergkristall und hatte eine vollkommene, achteckige Form. Obwohl Fanny so etwas noch nie gesehen hatte, erinnerte er sie an die Steine, mit denen einige heilige Abendmahlpokale des Klosters verziert waren. Das hier musste ein Edelstein sein.
Zahaboo sah sie fragend an, und als Fanny ihr den Stein zeigte, nickte sie erfreut. Die Tränen der Sonne seien das Zeichen dafür, dass sie den richtigen Platz gefunden hätten.
»Die Tränen der Sonne?«, fragte Fanny nach, die nicht ganz sicher war, ob sie richtig verstanden hatte.
Zahaboo nickte wieder. »Und sie, Ilanga , die Sonne weint jeden Abend ein paar bittere Tränen, unyembezi , weil sie untergehen muss und Angst hat, dass sie niemals wiederkommen darf. Denn sie liebt dieses Land so sehr.« Zahaboo deutete mit ihrem Gnuschwanzwedel über die Ebene, die vor ihnen lag. »Und erst nachts, wenn sie fort ist, sehen wir ihre Tränen.« Zahaboo forderte Fanny ungeduldig auf, den Kreis zu beenden.
Fanny behielt den Stein fest in ihrer linken Hand, zog die rechte Hand weiter durch den Sand und fand noch drei weitere Steine, ein genauso perfektes Achteck und zwei würfelartige, durchsichtige, glatte Steine. Jeder Stein, den Fanny ihr zeigte, entlockte Zahaboo ein zustimmendes Schnauben.
Während Fanny den Kreis zog, versank die Sonne in einem fleckigen Himmel, der aussah, als wären wahllos schwarze und rote Tintenfässer auf ihm ausgekippt worden.
Als sie fertig war, steckte Fanny die Steine in eine der Taschen, die in Zahaboos hellgelbes Kleid eingenäht waren.
Zahaboo sah prüfend in den Himmel, wo die Nacht bereits begann, alle Farben mit ihrer Schwärze auszulöschen. Die Heilerin holte einen etwa daumendicken, unterarmlangen Stab mit Kerben aus ihrem Beutel und einen dünneren, kürzeren Stab, außerdem getrocknete Pflanzenstängel. Dann kniete sie sich hin, nahm den dünneren Stab zwischen ihre ausgestreckten Handflächen und begann, ihn in einer der Kerben flink hin und her zu drehen. Nach einer Weile forderte sie Fanny auf, sich zu ihr zu gesellen und den heißen Bohrstaub auf die Zunderpflanze zu pusten, um das heilige Feuer zu entfachen.
Während Zahaboo den Quirlstab drehte, summte sie leise vor sich hin, und schon nach wenigen Minuten stiegen die ersten zaghaften Flämmchen empor. Als die Zunderpflanzen brannten, warf sie noch einige Buschmannkerzen ins Feuer, bis es heftig brannte und flackerte.
Zahaboo gab Fanny das Glasperlenarmband zurück und legte es ihr um. Danach reichte sie ihr einen brennenden Ast und forderte sie auf, den Kreis so lange abzugehen, bis der Ast verglüht war, und ihren Blick dabei nur auf das Feuer und den Himmel zu richten. Sie zeigte nach oben und wiederholte immer wieder »inyanga, inyanga« . Fanny erinnerte sich an Johns Worte: inyanga waren die Heiler, und der Halbmond war ihr Zunftabzeichen.
Während Fanny mit dem brennenden Ast durch den Sand schritt und nur ins Feuer und in den Himmel starrte, wurde es ständig dunkler. Zahaboos gelbes Kleid schleifte über den Sand. Das schabende, leise Geräusch erinnerte Fanny an den Traum, den sie auf dem Schiff nach Charlottes Tod gehabt hatte, in dem
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