Der Duft Der Wüstenrose
Ende eine Kugel formen konnte. Auf einem Tisch lagen verschiedene Scheren, mit denen man Glas schneiden konnte. Die Auftreibschere, die aus zwei messerförmigen Spitzen bestand, die mit einem Federbügel verbunden waren. Und die Schnabelschere mit kleinen Klingen und einem langen Griff. Unter dem Tisch standen runde und viereckige Hohlformen aus Ton und große Holzkisten mit zerbrochenem Glas. Verwundert betrachtete Fanny ihre Umgebung: Sie war in einer Waldglashütte gelandet.
Auf der anderen Seite der Hütte schlug Josefa gerade ihre Hände vors Gesicht und betrachtete sie dann voller Entsetzen.
Fanny schnappte nach Luft, als sie den kleinen braunen Halbmond an der Innenseite von Josefas rechtem Unterarm erkannte. Josefa hatte das gleiche Mal wie sie selbst. Das war doch kein Zufall!
Doch dann fiel Fannys Blick von dem Mal am Arm auf den Boden vor Josefa. Da lag ein dicker toter Mann, dessen Schädel mit einem Knüppel eingeschlagen worden war. Lorenz Koller, der Besitzer der Hütte. Und Josefa hatte ihn erschlagen …
So tot sah er nur mehr aus wie irgendein Kerl, dachte Josefa und versuchte, sich zu beruhigen. Sie wischte sich den Schweiß mit einem Zipfel ihrer zerrissenen Überschürze von der Stirn. Außer ihr waren noch zwei weitere Frauen im Raum. Sie wandte sich von Koller zu der Frau, die schwer atmend über ihm stand und von der Fanny wusste, dass sie Walburga genannt wurde, und dann zu Josefas jüngerer Schwester Gretel, deren Gesicht nass von Tränen und Blut war.
»Und jetzt?«, fragte Josefa. »Was machen wir denn nun mit ihm?«
»Schaffen wir ihn weg.« Walburga stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Lehmboden der Glashütte. »Wir müssen uns beeilen.«
»Satan ist über uns gekommen!«, schluchzte Gretel. »Der Herr sei uns gnädig. Erbarme dich unser …«
»Schweig!« Walburga schüttelte den Kopf so heftig, dass ihr vom Kampf schon völlig derangierter Zopf sich endgültig auflöste und Josefa sich schaudernd an eine alte Gottheit erinnert fühlte, deren Haare sich ringelnde und windende Schlangen waren. Medusa, dachte sie, so eine wie Jakob, ihr Ehemann, für den Brunnen der Siedlung aus Stein gehauen hatte.
»Der Einzige, der sich mit Satan eingelassen hat, ist der Dreckskerl hier. Seien wir froh, dass er tot ist. Jetzt steht nicht herum und haltet Maulaffen feil!«
Josefa wusste, dass Walburga recht hatte, die beiden Schü rer und der Schmelzer würden in höchstens einer halben Stunde von ihrer Mittagsjause zurück sein.
Josefa bückte sich zu Lorenz hinunter und packte ihn an den Armen, hob an, aber er bewegte sich auf dem rauen Lehmboden kein Stück. Sie ließ nicht locker und nahm einen neuen Anlauf, schließlich war sie schwere Arbeit gewöhnt. Ich werde nicht auch noch für seinen Tod bezahlen, dachte sie. Er muss für immer verschwinden, genau wie Walburga gesagt hat. Wenn sie uns hängen, wer kümmert sich um unsere Familien? Sie ging tiefer in die Knie und zerrte wieder an seinen speckigen Armen, brachte aber nur seinen Schmerbauch ins Wabern. Dass ein so kleiner Mann so schwer sein konnte!
Walburga lachte leise und hockte sich so nah neben Josefa, dass ihr trotz des Qualms und Gestanks deren Schweiß in die Nase stieg.
»Ursprünglich dachte ich«, flüsterte Walburga ihr zu, »wir versenken ihn draußen im Moor, aber das ist zu weit. Das Schwein ist zu schwer. Und die Kleine ist zu schwach.«
Gretel stand immer noch zitternd neben dem Toten und flüsterte ein Vaterunser nach dem anderen vor sich hin.
»Lass das jetzt, Gretel!«, zischte Walburga so giftig, dass Josefa wieder an die Schlangen denken musste. »Schick sie weg – was ich vorhabe, geht sie nichts an.«
Josefa stand auf und legte den Arm um ihre Schwester. »Gretel, lauf nach Hause, so schnell du kannst, du musst nach der Fischsuppe sehen, die auf dem Herd kocht.« Sie packte Gretel an den Oberarmen und schüttelte die magere Zwölfjährige. »Hörst du mich?«
Gretel nickte. Josefa legte die Hand unter das Kinn ihrer Schwester und zwang sie so, ihren Blick zu erwidern. Gretels dunkle, brombeerfarbene Augen ertranken in Tränen. Josefa strich über die feinknochige Wange ihrer Schwester und wischte die Tränen ab, dann richtete sie Gretels Haube, so gut es eben ging, und schob sie zur Tür. »Du bist in Sicherheit«, sagte sie eindringlich. »Nun kann er dir nichts mehr tun. Geh jetzt.«
Nachdem Gretel den Raum verlassen hatte, erklärte ihr Walburga, was sie sich überlegt hatte.
»Nein, das ist,
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