Der Duft Der Wüstenrose
um sie daran zu hindern, die Perlen genauer zu untersuchen. Sie näherte sich den Perlen so ehrfürchtig, als wären sie die heilige Muttergottes selbst. Sie fingen jeden Lichtstrahl in der dämmrigen Kapelle auf und schillerten ebenso unfassbar schön wie die an Fannys Armband. Als sie vor den Perlen stand, rieb sie sich die Augen, aus Angst, dass sie Halluzinationen hatte. Dieser perlmutterne Regenbogenschimmer, der sich je nach Licht einfall in einen prächtigen Sonnenuntergang verwandeln konnte. Fanny zitterten die Hände, als sie es endlich wagte, den Rosenkranz zu berühren. Ein leises Zischen ertönte, als sie den Rosenkranz über ihren Arm neben ihr Armband legte. Die Perlen waren identisch. Der Rosenkranz war kostbar, schön und grauenerregend zugleich. An seinem Ende baumelte ein schweres, schwarz geflammtes Kreuz aus Gold, dann kamen drei daumendicke, goldene Perlen, dann ein Totenkopf aus Gebein geschnitzt, dann zehn der Zauberperlen, dann wieder ein Totenkopf. Das Ganze wiederholte sich viermal. Es waren die Totenköpfe, vor denen ihr grauste, denn sie schienen zu lachen. Deshalb betete sie sofort einen Rosenkranz, und mit jeder Perle, die sie zwischen den Fingern drehte, wurde ihr leichter ums Herz. Sie spürte, dass sie eine erste Spur gefunden hatte. Gewiss würde ihr diese Entdeckung hilfreich sein, wenn sie das Kloster in vier Jahren endlich verlassen durfte.
An dem Rosenkranz hing ein Schild mit einer Inschrift in einer verblassten, sehr zittrigen Schrift, die zu entziffern ihr große Mühe bereitete. Ewiger Dank der Gnade unseres Herrn und Gott , las Fanny, zur Errettung unserer Tochter Rosina durch die Heilige Jungfrau. Gestiftet von seiner unwürdigen und schwer sündigen Dienerin Josefa Aschenbrennerin aus Grainet im Jahre des Herrn 1699.
Fanny hatte sich auf die Stufen zum Altar gesetzt und sich wieder und wieder gefragt, ob dieser Rosenkranz etwas mit ihrer Herkunft zu tun hatte oder nicht. Nie hätte sie gedacht, dass die Perlen in ihrem Armband schon so alt waren. Zu gern hätte sie den Rosenkranz mitgenommen und unter ihrem Kopfkissen verborgen, aber sie wusste, dass das einfältig wäre. Sie und ihre wenige Habe wurden ständig durchsucht. Deshalb musste sie einen Ort in der Kapelle finden, wo sie den Rosenkranz verstecken und immer wieder ansehen konnte. Schließlich versenkte sie den Rosenkranz in einem besonders monströsen Abendmahlpokal in der Hoffnung, dass Seraphina ihn niemals verwenden würde. Prunk war Seraphina ein Gräuel.
In der folgenden Nacht hatte sie von dem Rosenkranz geträumt, die Totenköpfe hatten sich mit Haut überzogen, waren Gesichter geworden, Männergesichter, und hatten gesprochen, dann gezischelt, daraus war dieser singende Ton geworden, den sie schon aus ihren anderen Träumen kannte. Das Singen war übergegangen in ein Ave- Maria. Es kam aus einer Kirche, die auf Wasser gebaut zu sein schien.
Später hatte Fanny herausgefunden, dass es die Stadt, in der die Kirche stand, wirklich gab und sie Venedig genannt wurde.
Nach diesem Traum war sie ganz sicher, dass die Spenderin Josefa etwas mit ihr zu tun hatte, auch wenn sie sich noch keinen Reim darauf machen konnte. Und so wurde Josefa Aschenbrennerin von nun an eine Art angenommene Ururgroßmutter für sie. Fanny erspann sich Geschichten darüber, aus welch grausigem Unheil Gott wohl Josefas Tochter Rosina errettet hatte.
Sie begann sich für bayerische Geschichte zu interessieren, um mehr über Grainet und die Aschenbrennerin zu erfahren. Sie fand heraus, dass Grainet im Bayerischen Wald lag, und zwar in einem berühmten Glashüttengebiet, in dem es viele Patterlhütten gegeben hatte, in denen Rosenkranzperlen hergestellt wurden.
Fanny musste nach ihrer Ausbildung im Kloster noch zwei Jahre als Lehrerin für die Franziskanerinnen arbeiten, um den Schwestern für die Mühe, sie aufzuziehen und auszubilden, etwas zurückzugeben. In dieser Zeit stellte sie weitere Nachforschungen an.
Als sie es dann endlich nach Grainet geschafft hatte, wurden ihre Hoffnungen schwer enttäuscht, denn im dortigen Kirchenbuch fand sie nur gerade so viel heraus, dass es eine Aschenbrenner-Familie gegeben hatte. Der Pfarrer, der ein passionierter Geschichtsforscher war, klärte sie darüber auf, dass Aschenbrenner ein recht häufiger Name im Bayerischen Wald war. Denn der Name war nichts anderes als eine Berufsbezeichnung. Der Aschenbrenner war derjenige, der die Asche herstellte, die man zur Glasherstellung benötigte, denn
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