Der Duft des Anderen
Spion beäugt wurde, und schnitt eine gelangweilte Grimasse. Die Tür öffnete sich einen Spalt, heraus schob sich eine kurze, beringte Hand. »Küsschen, Joey.«
Joachim hauchte einen symbolischen Kuss über den Handrücken und gab einen geräuschvollen Schmatzlaut von sich. Die Tür wurde aufgesperrt. Rosalie, im bürgerlichen Leben Bernd Fellmann, tänzelte zur Seite. »Alex ist noch nicht da. – Wie findest du mein neues Kleid? Sag bloß, du hast es nicht bemerkt?«
Joachim musterte sie flüchtig. Sie trug ein Knöchellanges, Schwarzes mit Pailletten. »Sehr stilvoll«, murmelte er, »willst du heute Abend noch in die Oper?«
Rosalie warf den Kopf zurück. »Das trage ich für euch, ihr netten Jungs. Stil kann man auch zu Hause haben.«
Joachim mochte keine Tunten, aber erstens gehörte Rosalie das Haus, zweitens der Club und drittens war Bernd Fellmann Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank. Der Club nannte sich schlicht ›Die Freunde‹, und seine Mitglieder wurden nach gesellschaftlichen Kriterien ausgewählt, wenn man davon absah, dass er nur Homosexuellen offen stand.
»Das Grüne hat mir besser gefallen. Schwarz ist so elegisch, du siehst darin aus wie ein Grufti.«
»Findest du? Luigi sagt, dass es sehr elegant wirkt.« Rosalie strich sich über ihren Bauchansatz. Da wo Frauen ihre Taille hatten, spannte es ein wenig. Joachim dachte, dass Fellmann eigentlich genug Geld haben müsse, sich Spezialanfertigungen schneidern zu lassen. Er wusste nicht, dass das Kleid Fellmanns Schwester gehörte, und dass das grüne, das auch keinen besseren Sitz hatte, aus einem Katalog stammte. Joachim hatte sich um diese Dinge nie Gedanken gemacht, musste er auch nicht. Er hielt sich für bisexuell mit dem Schwerpunkt auf der männlichen Seite, Tunten waren eine andere Welt.
»Ein eleganter Grufti dann eben«, lächelte Joachim und schaute flüchtig in den Spiegel, der auf dem Flur hing. Wieder hing da die widerspenstige Strähne, er blies sie fort, sich dessen bewusst, dass Rosalie seine Geste hinreißend fand.
Der Raum wurde beherrscht von einer riesigen Bar mit Kamin, der jetzt kalt war. Im Raum verteilt standen mehrere kleine Tische mit Sesseln, alle in unterschiedlichen Stilepochen gehalten. Joachim grüßte mit leichtem Nicken hinüber und ging dann an die Bar.
Immer dieselben Gesichter
, dachte er,
und sie werden immer langweiliger.
Ein Club bot Intimität, Abwechslung bot er nicht. Joachim fand, er ähnelte mehr und mehr einem Männergesangsverein, der heiser geworden war. Alexander bestand jedoch auf Diskretion. Ein Outing kam für ihn in seiner Position nicht infrage.
Joachim schwang sich auf einen Barhocker, grinste Luigi, den hübschen Barmann an, den einzigen, der wirklich nur das war, was er war, und überlegte, dass ihm ein bisschen Ausschweifung nicht schaden könnte. Luigi machte auch den Discjockey. Die Musik spielte ›The Great Pretender‹, und zwei Paare bewegten sich langsam auf der kleinen Tanzfläche.
Joachim bestellte Gin Tonic. Neben Joachim saß Fred, ein schmaler, sommersprossiger Jüngling, Arztsohn und Masochist, schlürfte einen Kaffee und hustete vernehmlich. »So scharfe Sachen heute, Jo?«
Joachim nippte an seinem Getränk. »Muss mich einstimmen, fahre demnächst nach Russland.«
»Wie? Privat oder geschäftlich?«
»Geschäftlich.«
»Oh!« Fred fragte nicht weiter, denn es war ein ungeschriebenes Gesetz, nicht über die Arbeit zu reden.
»Kennen Sie schon Moskau um Mitternacht?«, sang Luigi mit seinem Samtbariton und ließ die halbgefüllte Ginflasche stehen. »Für alle Fälle.«
Joachim strich sich wohlüberlegt das Haar aus der Stirn. »Du hast eine schöne Stimme, Luigi, du solltest was draus machen, wirklich.«
Luigi errötete. »Alle Italiener können singen«, wehrte er ab. Er fühlte Joachims Blicke auf seiner nackten Brust, über der er nur eine bestickte Weste trug. Luigi wurde unruhig und sah zur Tür. Jo war eine Sünde wert, aber Alexander wachte wie ein Bluthund über ihn, und Luigi wollte seine Stelle als Barmann gern behalten.
Er drehte sich rasch um und sortierte die CDs. Rosalie hatte doch so einen Hang zur Romantik. Richtig! Der Preis klebte noch auf den Donkosaken, Luigi musste ihn erst abziehen, um die Hülle öffnen zu können. Er hatte bisher nicht gewagt, diese CD aufzulegen, jetzt schien es ihm passend, und als plötzlich Kalinka erklang, gingen die Tänzer sofort in die Hocke.
»Sieh doch, Nurejew!«, rief Fred und stieß Joachim grinsend
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