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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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verloren? Weil sie eine Frau war. Männer kamen eben schneller. Sie stellte ihre Bilder wieder an die Wand, entledigte sich ihrer Kleider samt Perücke und künstlichem Penis und wurde wieder zur Frau. Sie löschte das Licht und ließ sich auf die Couch fallen. Immerhin, es war ein schöner Abend gewesen und eine heiße Nacht mit Stephan, ohne dass er etwas gemerkt hatte. Es war besser als nichts.

15
    Nun lag die Nacht mit Stephan schon zwei Wochen zurück. Sie erschien Barbara wie ein merkwürdiger Traum. Irgendwie war es passiert, aber diese Lust an der Grausamkeit, die hatte doch nichts mit ihr zu tun, nicht wirklich. Sie hatte damit gespielt, wie sich andere zum Zeitvertreib Horrorfilme ansehen. Farbe auf Leinwand tat schließlich niemandem weh.
    Es war der Alkohol, redete sie sich ein, und es wird nie wieder passieren. Angerufen hatte sie Stephan nicht, obwohl sie es ihm versprochen hatte. Er würde auf jene unselige Nacht zu sprechen kommen, und dann konnte sie es nicht mehr als Traum abtun. Natürlich fürchtete sie, Stephan könnte
sie
anrufen. Womöglich wusste er bereits alles? Aber für diese Überlegungen war es ohnehin zu spät, und darüber nachdenken wollte sie nicht, das hätte sie verrückt gemacht. Sie überlegte, ob sie ihren Ausrutscher, wie sie es nannte, nicht zum Anlass nehmen sollte, ihr Mannspielen aufzugeben. Aber dann fand sie es doch schade, gerade jetzt, wo sie die lustige Runde bei Kai kennengelernt hatte, wo sie begann, sich in ihrer Männerrolle immer sicherer zu fühlen. Sie war jetzt nicht mehr der schüchterne Junge, der sich im Café ›Cosima‹ hinter einer Zeitschrift versteckte.
    Um sich abzulenken, hatte sie die letzten zwei Wochen genutzt, um lästige, immer wieder aufgeschobene Dinge zu erledigen. Einen Brief an die Hausverwaltung ihrer Mietshäuser, einen Anruf beim Studentendienst für zwei Tage Gartenarbeit. Sie kam sich schon wie Dornröschen vor. Und das wollte bei ihr etwas heißen. Innerhalb der Reihe gepflegter Landhäuser in ihrer Straße nahm sich ihr Grundstück aus wie ein Straßenköter in einer Ausstellung von Rassehunden. Biotop nannte sie die Ansammlung von Grünzeug, die ihre Nachbarn Unkraut nannten. Und während der wohlabgezirkelte Rasen ihrer Nachbarn aussah wie mit einer Nagelschere nachgesäubert, dehnte sich bei ihr eine vermooste Wiese mit kreisförmigen Pilzkolonien, schattigen Brennnesseln und leuchtendem Löwenzahn. Verwildert nannten ihre Nachbarn das, spießige Mini-Parks, nach draußen verlegte gute Stuben, nannte Barbara deren Gärten verächtlich.
    Sie arrangierte eine geschäftliche Verabredung zum Essen mit Robert Grünwaldt, der sich um ihre Ausstellung »Das alte Hamburg«, kümmern sollte, ein Zyklus von fünfzehn kleinformatigen Bildern, die sie nach alten Fotos gefertigt hatte. Zwei davon hatte sie in den letzten beiden Wochen gemalt. Ihre Bilder ganz anderer Art blieben zugehängt.
    Fleete, Backsteinhäuser, krumme Gassen mit Kopfsteinpflaster, das lenkte ab. Von Robert einen ganzen Abend lang bei Forelle und einem vorzüglichen Weißwein als Frau behandelt zu werden, ebenfalls. Barbara gab sich liebenswürdig, und Robert war entzückt. Für ihre Bilder hatte er ein uriges reetgedecktes Bauernhaus in Nienstedten aufgetrieben, wo Barbara zusammen mit einem anderen Maler ausstellte, der Hafenbilder hatte. Man erwartete ein konservatives Publikum, das beruhigte die Nerven. Je mehr Normalität, desto besser. Deshalb nahm sie auch seine Einladung in die Oper an. Sie hatte ihm versprochen, nicht mitzusingen.
    Es gab La Traviata, und Barbara hielt ihr Versprechen. Dafür summte sie in der Pause im Foyer vor sich hin. Nicht nur Roberts Augen ruhten wohlgefällig auf ihrer Erscheinung. Sie trug weiße Sommerstiefel zu einem figurbetonten Kleid, das zwei Handbreit über ihren Knien endete. Selbst Barbara fand sich hinreißend, wenn sie sich im Spiegel betrachtete.
Wenn mich Stephan jetzt sehen würde
, dachte sie und freute sich, dass der Gedanke sie amüsierte.
    Nach der Oper gingen sie noch einen Wein trinken, und ihre Fröhlichkeit wurde gedämpft durch Roberts Geschwätz. Statt über die Ausstellung zu reden oder über die Oper oder sonst ein angenehmes Thema, brachte er ihre Beziehung zur Sprache, die gar keine war, die aber eine werden sollte, wenn es nach ihm ging. Dabei tatschte er fortwährend nach ihrer Hand, wiederholte sich, wie gut sie aussehe und gab, obwohl er alles andere als ihr Vater sein wollte, väterliche Ratschläge, was

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