Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
Vom Netzwerk:
vor ihr stand Alexander, in der ausgestreckten Hand immer noch das Corpus Delicti. »Du weißt es?«, flüsterte sie.
    »Dass du eine Möse bist? Ja! Jetzt weiß ich es!«
    Die anderen glaubten, sie hätten sich verhört. Alle schrien durcheinander, Rosalie verschaffte sich nur mit Mühe Gehör. »Ruhe!«, schrie sie ein um das andere Mal. »Verdammt, Alexander, was meinst du damit, dass Sascha eine Möse ist?«
    Barbara erhob sich und sah tapfer in die Runde. »Ich bin eine Frau«, sagte sie laut und deutlich.
    Die folgende Totenstille wurde von Freds Kreischen unterbrochen: »Ihh, eine Frau! Holt den Kammerjäger!«
    Jemand lachte. »Lieber einen Exorzisten.«
    Rosalie stand der Mund weit offen. Sie konnte es nicht fassen.
    »Luigi hat ihn mitgebracht!«, rief Markus.
    »
Sie
mitgebracht, Markus«, belehrte Fred ihn kichernd.
    Luigi zuckte hilflos die Schultern. »Ich habe es nicht gewusst.«
    Alexander schmiss ihr den Tampon vor die Füße. »Und mit so etwas habe ich getanzt, so etwas habe ich geküsst!«
    »Na, abgefallen ist er dir dadurch nicht«, lästerte Markus.
    Rosalie baute sich vor Barbara auf. »Sag mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du hast den ganzen Club lächerlich gemacht.«
    »Das wollte ich nicht.« Barbara sah Alexander flehend an. »Ich kann es erklären, bitte, Alexander, ich …«
    »Für Sie Herr Kirch, mein Fräulein«, sagte er eisig. »Ich bin an Ihren Erklärungen nicht interessiert. Bitte verlassen Sie diesen Club und belästigen Sie uns nicht mehr.«
    Barbara schwankte, hielt sich an der Sessellehne fest, da spürte sie, wie jemand sie stützte. »Lasst sie in Ruhe, sie ist doch völlig fertig.« Es war Dieter, und seine Augen funkelten zornig. »Ihr seid ja alle so gemein! Sie wollte uns bestimmt nicht lächerlich machen. Es gibt solche Menschen, ja! Man nennt sie transsexuell, ihr wollt doch alle so intelligent sein und tut, als ob ihr das nicht wüsstet!«
    Alexander nahm gelassen sein seidenes Hemd vom Sessel. »Es soll auch Menschen mit zwei Köpfen geben, deshalb möchte ich ihnen doch nicht im Club begegnen.«
    Barbaras Züge waren wie aus Stein gemeißelt. Jetzt nur keine Gefühle zeigen. »Danke, Dieter«, flüsterte sie. Dann zog sie ihre Schuhe und Strümpfe an.
    »Stimmt es, bist du transsexuell?«, fragte Rosalie.
    »Das geht euch einen Dreck an!«, zischte Barbara. »Ich muss mich vor euch nicht rechtfertigen!«
    »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht ganz genau, was das ist«, meldete sich Sigi. Er schüttelte den Kopf. »Der süße Sascha eine Frau, Sachen gibt es!«
    »Ja, Frauen sind doch die besseren Männer«, grinste Markus.
    »Wie heißt du denn wirklich, Sascha?«, fragte Fred. Er erhielt einen vernichtenden Blick.
    »Ist doch scheißegal, wer sie ist«, fauchte Alexander. »Sie soll sich anziehen und verschwinden!«
    Rosalie, das Plappermaul, war immer noch völlig verstört über die Entweihung ihres Heiligtums. Dieter hatte inzwischen Barbaras Jacke geholt. »Mach dir nichts draus, alle Schwulen sind nicht so.« Er half ihr in die Jacke und grinste mit seinen schiefen Zähnen. »Das muss man doch tun bei einer Frau, nicht wahr?«
    Barbara konnte sogar ein bisschen darüber lächeln. Dieter begleitete sie hinaus, während die anderen ihr nachstarrten. Auf dem Flur wurden Barbara die Knie schwach. Sie musste sich auf die Stufen setzen. »Dieter, würdest du mir bitte ein Taxi rufen?«

24
    Der Regen trommelte auf das Dach, Sonntagswetter! Hier oben auf dem Boden hörte er sich wie Hagelkörner an. Er prasselte auf das graue Viereck des Atelierfensters, durch das trübes Licht fiel. Barbara hockte auf der Couch, die schon einiges erlebt hatte. Jetzt war sie nur ein altes, durchgesessenes Möbelstück, und Barbara saß schon seit Stunden hier oben und versuchte, das Erlebte des gestrigen Abends in mundgerechte Stücke zu zerteilen, um es zu verdauen. Zuerst hatte sie geheult. Zum Teufel damit, ob Männer heulten oder nicht, sie heulte, bis ihre Kehle brannte. Als sie keine Tränen mehr hatte, starrte sie dumpf vor sich hin und sah alles vor sich ablaufen, als zwinge sie ein sadistischer Folterknecht, diesen Horrorfilm immer und immer wieder anzusehen, und er war noch nicht zu Ende. Er war weitergelaufen, als sie auf der Treppe saß, als sie auf das Taxi wartete, als sie einstieg und während sie nach Hause fuhr. Ein Film, der von ätzendem Gelächter und schmutzigen Witzen handelte und einem hohntriefenden Albtraum mit Namen Alexander. Und er ging weiter,

Weitere Kostenlose Bücher