Der Duft des Apfelgartens
lacht. »Es ist, als würde man ins Büro des Direktors gerufen, oder?«
Sie nickt, beißt sich auf die Lippen und lässt sich von seiner Fröhlichkeit aufmuntern. »Dann kommen Sie. Hoffentlich müssen wir bloß nachsitzen.«
In der Bibliothek stehen Stühle im Halbkreis um einen kleinen Tisch. Mutter Magda legt ein paar Papiere bereit und wirft Vater Pascal einen zweifelnden Blick zu.
»Es ist ganz richtig, die beiden einzubeziehen«, sagt er, indem er ihren Blick deutet. »Die Entscheidung ist richtig. Schwester Ruth sieht das falsch. Es ist nur fair, wenn Clem und Janna Bescheid wissen. Sie sind schließlich auf sie angewiesen – und außerdem haben sie möglicherweise etwas Wertvolles zu der Diskussion beizutragen. Vielleicht nicht sofort, natürlich, aber Schwester Emily hat ganz recht. Wir sind alle gemeinsam auf dieser Reise, und jeder von uns leistet einen Beitrag dazu.«
Beruhigt nickt sie. »Es ist nur so, dass Ruth meint, Janna sei noch nicht lange genug bei uns, um in einer so wichtigen Angelegenheit hinzugezogen zu werden.« Sie zögert und sucht nach einer taktvollen Art, es auszudrücken. »Sie hat sich von Anfang an nicht ganz wohl in Jannas Gesellschaft gefühlt.«
Vater Pascal prustet belustigt. »In der von Jakey auch nicht.«
»Nein«, pflichtet Magda ihm lächelnd bei. »Sie kann nichts mit Kindern anfangen, und trotzdem verhält sie sich Nicola gegenüber so wunderbar. Nicolas Betreuung hat ihre besten Seiten hervorgebracht. Die Entscheidung war richtig, obwohl wir gefürchtet haben, sie werde damit nicht fertig. Ruth war schon immer so kratzbürstig, schroff und ängstlich darauf bedacht, nicht unterbewertet zu werden. Wissen Sie noch, wie nervös wir damals waren?«
»Gott arbeitet mit unseren Schwächen, ob es Nicolas körperlicher und geistiger Verfall ist oder Ruths Unsicherheit …«, beginnt er und unterbricht sich, als die Tür sich öffnet und die beiden Schwestern, von denen eben die Rede war, gemeinsam eintreten.
Ruths Miene macht deutlich, dass sie das Kommende gründlich missbilligt, aber Nicola strahlt alle vage an. Ruth hilft ihr zu ihrem Stuhl, und sie setzt sich darauf und sieht sich um. Schwester Emily kommt forschen Schritts herein; ihre Miene ist eifrig, erwartungsvoll, als könnten große Entscheidungen getroffen oder wundersame Wahrheiten enthüllt werden. Trotz Magdas Nervosität und Ruths Missfallen lächelt Vater Pascal instinktiv. Schwester Emilys positive, beinahe kindliche Herangehensweise erfüllt ihn immer mit Freude.
»Schwester Emily ist ein Mensch, der Ja zum Leben sagt«, hatte er einmal zu Clem gemeint. »Alles ist möglich, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist.«
Gerade, als er daran denkt, klopft es an der Tür, und Clem und Janna treten zusammen ein. Sofort bemerkt er ihre Furcht und Unsicherheit, und seine Hochstimmung verflüchtigt sich wieder. Als Magda herbeieilt, um sie willkommen zu heißen und ihnen einen Platz anzubieten, spricht er lautlos ein kleines Gebet um Führung. Noch sieht er nicht, wie es weitergehen soll. Selbst wenn sie Mr. Brewsters Angebot nicht annehmen, wird es nicht lange dauern, bis die Schwestern so gebrechlich sind, dass eine Entscheidung über ihre Zukunft getroffen werden muss. Bestimmt ist es doch besser zu springen, als gestoßen zu werden – oder doch nicht? Er versucht, sich ein Bild von Chi-Meur als Hotel zu machen, natürlich ein Themenhotel. Wochenende in einem elisabethanischen Herrenhaus . Er stellt sich das Haus mit einer Bar und einem Fitnessraum vor und fragt sich, was Mr. Brewster wohl mit der Kapelle anfangen würde. Hauseigene Yogakurse veranstalten?
Ihm wird klar, dass in der Gruppe, die jetzt vollständig ist, ein kurzes Schweigen eingetreten ist. Schwester Nicola beobachtet ihn. Halb lächelnd, halb stirnrunzelnd scheint sie zu versuchen, seine Gedanken zu lesen. Ihr rundes, blasses, mit bräunlichen Altersflecken gesprenkeltes Gesicht ist erstaunlich faltenlos; alle Sorgen und Ängste sind daraus gelöscht worden, als sie langsam in ihr Paralleluniversum geglitten ist, in dem sie jetzt ruhig und friedlich lebt. Er nickt ihr lächelnd zu, als wollte er sagen: »Alles ist gut.«
»Stille«, sagt sie zur Verblüffung aller mit sanfter Stimme in das Schweigen hinein. »Die Stille vor und nach der Musik ist ebenso wichtig wie die Musik selbst.«
Das Schweigen nimmt jetzt eine neue Qualität an; Überraschung schwingt darin und Beklommenheit angesichts dessen, was Schwester Nicola möglicherweise
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