Der Duft des Blutes
Berner?"
Geduldig blieb Hauptkommissar Ohlendorf in der Tür stehen.
„Hören Sie, Frau Pless, Sie sind hier bei der Mordbereitschaft gelandet, das betrifft uns nicht. -Ja, das Kind ist schulpflichtig, und die Mutter macht sich strafbar, wenn sie das Kind nicht regelmäßig zur Schule bringt. Rufen Sie doch mal beim Jugendamt an. -Nein, dass die Mutter sich prostituiert, hat damit nichts zu tun. -Ja, da haben Sie schon recht, wir haben in unserer Abteilung auch eine Vermisstenstelle, doch das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen. Wenn Sie das Kind als vermisst melden wollen, dann müssen Sie sich an das örtliche Revier wenden. Von wo rufen Sie an? -Dann ist die Dienststelle am Steindamm zuständig."
Sabine Berner lauschte noch eine Weile der fernen Stimme, sagte Ja und Nein und legte dann mit einem Knall den Hörer auf.
„Es war der Dame ein Herzenswunsch, sich über die Polizei zu beschweren, die immer erst dann etwas tut, wenn schon was Schlimmes passiert ist. Muss das Kind erst ermordet werden, damit ihr euch dafür interessiert, hat sie mir an den Kopf geworfen."
„Die Antwort darauf lautet: Ja", grunzte Sönke und wischte mit seinem Taschentuch den verschütteten Tee von der Schreibunterlage. „Ist nicht umsonst die Mordbereitschaft hier, oder?"
Seit zwei Stunden schritt Peter von Borgo die laut dröhnende Hindenburgstraße entlang. Unter der Brücke hindurch, über die alle paar Minuten eine U-Bahn donnerte, dann zwischen den herbstlich gefärbten Bäumen zur Rechten und der belebten Straße zur Linken, vorbei am runden, zehnstöckigen Turm, in dem die Polizeigewerkschaft residierte, bis zu der großzügigen Einfahrt, die zum sternförmigen Polizeipräsidium und zur Polizeikaserne führte. Er strich noch ein Stück an den Zäunen der Kaserne entlang, bevor er umkehrte und den Rückweg antrat. Der eisige Nordwestwind, der an seinem schwarzen Mantel zerrte, störte ihn nicht. Er fieberte dem Augenblick entgegen, da sie über die Freitreppe herunterkommen würde, ihre Jacke eng um sich geschlungen, den Kopf gesenkt, um mit schnellem Schritt der U-Bahn entgegenzueilen. Er wusste, dass er sie nicht verpasst hatte. Ganz deutlich konnte er es spüren: Sie war irgendwo in diesem Gebäude.
Sollte er hineingehen und sie aufsuchen? Der Gedanke prickelte verlockend, doch da erschien die Ersehnte hinter den Scheiben der Schwingtür. Der Vampir wartete im Schatten eines ausladenden Ahornbaumes, bis die Kommissarin an ihm vorüber war, und folgte ihr dann langsam. Ganz dicht stieg er hinter ihr in die U-Bahn, sodass er sich für einen Moment an ihrem Duft berauschen konnte, dann setzte er sich auf die andere Seite des Ganges -so nah, dass er sie sehen und fühlen konnte, doch weit genug weg, dass sie nicht von seiner Aura gefangen genommen wurde.
Sabine Berner war tief in Gedanken. Das Verhör des alten Kiezganoven beschäftigte sie. Kalle hatte eine Villa an der Eibchaussee, ein Landhaus auf Sylt und eine bescheidene Zweihundert-Quadratmeter-Wohnung an der Alster. Es war nicht ganz klar, in welchen Kneipen, Videotheken oder Sexshops er überall seine Finger drin hatte, doch den Kiez und seine Spieler kannte er genau. Er war bei „König" Willi Bartels ein und aus gegangen, zählte den „schönen Klaus" und „Karate-Thornmy" zu seinen Freunden, doch die Zeit der deutschen Kiezgrößen war längst vorbei. Es waren die Kurden und Albaner und auch die Russen, die der Kripo Kopfschmerzen bereiteten, weil sie ihre Streitigkeiten nicht mit den Fäusten beilegten, sondern mit dem Messer oder einem Kugelhagel. Und doch kannten sich Leute wie Kalle noch immer aus, und manches Mal waren sie auch bereit, mit der Kripo einen Deal einzugehen -natürlich nur gegen die ausländische Mafia und wenn es sich wirklich für sie lohnte.
Fröstelnd wickelte sich Sabine ihren Schal um den Hals. Ihre Sinne waren plötzlich hellwach, der Kiez und Kalle vergessen. Irgendjemand beobachtete sie. Sie konnte es spüren. Unauffällig musterte die Kommissarin die Leute, die sich inzwischen dicht an dicht in dem Wagen drängten. Ihr Blick tastete über Gesichter und Gestalten und blieb dann an einem dunklen Haarschopf hängen. Glattes, schulterlanges Haar, im Nacken zusammengebunden. Er hatte das Gesicht abgewendet, doch es war ihr, als spiegelten sich rot glühende Augen in den schmutzigen Scheiben.
„Hauptbahnhof', knarrte die Lautsprecherstimme. Hastig griff die Kommissarin nach ihrer Tasche und drängte sich hinaus auf den
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