Der Duft des Blutes
Streife waren."
„Ja, Frau Chefin, und es war dem Rickmer immer ein Dorn im Auge, zwei Frauen zusammen auf die Straße zu lassen. Aber du warst ja schon so reif und erfahren und..."
„Wenn du jetzt alt sagst, dann kannst du was erleben", entrüstete sich die Oberkommissarin.
Sandra Richter kicherte. „Nein, nein, die fünf Jährchen! -Doch du rufst sicher nicht an, um mit mir über alte Zeiten zu plaudern." Der Ton der frisch gebackenen Kommissarin wurde wieder ernst.
„Nein, da hast du recht. Mich interessiert der Vermisstenfall Edith und Lilly Maas. Hast du ihn aufgenommen?"
„Ja, eine Mitarbeiterin von ,Ragazza' war gestern bei mir. Außerdem habe ich auf der Straße mit einer Freundin dieser Ronja gesprochen. Ich konnte sie überreden, mich mit in die Wohnung zu nehmen."
„Hast du Fotos von den Vermissten?"
„Ja, soll ich sie dir schicken?"
Sabine Berner überlegte. „Ich hab hier noch einiges auf dem Tisch. Was hältst du davon, mit mir nachher ins Gnosa zu gehen und die Sache in Ruhe durchzusprechen?"
„Meinst du die Schwulenkneipe in der Langen Reihe?"
„Ja, genau. Sagen wir um halb neun?"
„Ist gut, bis dann. Ich bringe alle Unterlagen mit."
Der Vampir erwachte wie immer, sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war und ihr letzter Strahl auf den Wipfeln der Bäume oben am Süllberg erlosch. Nachdem er einige Tage in seinem Versteck in der Speicherstadt zugebracht hatte, hatte es ihn letzte Nacht zu seiner Villa nach Blankenese zurückgezogen.
Langsam erhob er sich, stieg die Treppe vom Keller hoch und schritt dann durch die Halle hinüber in den Salon. Der Himmel war wie von rauchigem Glas, noch immer flammte über dem Fluss ein letzter Hauch von Purpur. Für einen Tag war der goldene Herbst zurückgekehrt, der Wind war eingeschlafen, und die Sonne hatte die erfrorenen Gemüter gewärmt.
Peter von Borgo drückte die großen Flügeltüren auf und ließ den Abendgesang einer Amsel herein. Eine kühle Brise strich von der Elbe empor, wo einsam ein Schlepper silberne Streifen durch das glatte Wasser zog.
Wie hatte er sich nach diesem Ausblick gesehnt. Nach einigen Tagen und Nächten in der Stadt zog es ihn immer wieder in die Stille seiner Villa zurück.
Der Vampir trat zurück ins Dämmerlicht des Zimmers und hob den Deckel des schwarz glänzenden Steinwayflügels. Der Hocker scharrte auf dem Parkett, als er ihn zurechtrückte und sich auf dem Lederpolster niederließ. Er streckte die schlanken Finger, legte sie auf die elfenbeinfarbenen Tasten und schloss dann die Augen. Ein paar Atemzüge lang regte er sich nicht, doch dann glitten die weißen Finger flink und schwerelos über die Tasten. Chopins Fantaisie-Impromptu schwang sich zur stuckverzierten Decke empor, schwebte durch die Flügeltüren hinaus in den verwilderten Park und ließ die Amsel den Schnabel zuklappen und lauschend den Kopf zur Seite neigen.
Eine von Chopins Etüden, noch ein wenig Dvorak und Beethovens Mondscheinsonate, dann endlich lag die Nacht samtschwarz über den steilen Geesthängen von Blankenese. Peter von Borgo trat auf die Terrasse und schlenderte über moosbewachsene Sandsteinplatten hinweg. Unter den Ästen einer weit ausladenden Eiche blieb er stehen. Auf dem Weg jenseits der dichten Rhododendren hörte er gedämpfte Schritte. Peter von Borgo hielt inne, um zu lauschen. Es war der beschwingte Gang der Jugend, voller Ungeduld und freudiger Erwartung. Früher hatte die Mode nur den Burschen solch einen eiligen Schritt gestattet, doch seit die Frauen und Mädchen Hosen trugen, hatten sie eine nie gekannte Freiheit der Bewegung hinzugewonnen.
In den erdigen Geruch des feuchten Gartens mischte sich der Hauch der Süße von warmer junger Haut. Der Vampir schloss die Augen und sog den Duft genießerisch in sich ein. Ein junges Mädchen eilte dort hinter den Hecken den Weg zur Elbe hinab. Sollte er ihr folgen? Die Nasenflügel bebten. Hinter seiner Oberlippe schoben sich zwei spitze Zähne langsam nach vorn. Eigentlich vermied er es, zu nah an seinem Domizil auf Jagd zu gehen, doch der Hauch, der nun in der Nacht verwehte, hatte seine Gier entfacht.
Mit raschen Schritten erreichte er eine Lücke im dichten Gebüsch, schob sich hindurch und huschte dann lautlos den Weg entlang. Zu beiden Seiten ragten hohe Hecken auf. Der Abendwind wisperte in den Wipfeln der alten Bäume oben am Geesthang, doch sein Sinn spürte nach dem jungen Blut, das warm hinter rosiger Haut pochte. Das Mädchen war so schnell
Weitere Kostenlose Bücher