Der Duft des Blutes
die 62er-Fähre nach Finkenwerder. Hier wartete schon die 64, die zum Anleger Teufelsbrück übersetzte. Das nächste Schiff brachte die junge Frau dann nach Blankenese.
Sabine stieg aufs Oberdeck, ließ sich in einen der Drahtstühle sinken und betrachtete die herrschaftlichen Villen am Eibufer, die an ihr vorbeizogen. Die Sonne schien ihr wärmend ins Gesicht und ließ das Laub der alten Bäume in den Gärten und Parks aufleuchten, rot und gelb, dazwischen das dunkle Grün der Kiefern. Oben auf dem Geestrücken kam der schlanke, rot-weiß geringelte Leuchtturm in Sicht, der auf dem künstlich aufgeschütteten Kanonenberg im Baurs Park thronte. Als die Fähre den kleinen Yachthafen des Blankeneser Segelclubs passierte, erhaschte Sabine einen kurzen Blick auf das Anwesen. Die Wände strahlten blendend weiß, das Sonnenlicht spiegelte sich in den hohen Fenstern. Es war nur ein Augenblick, ein kurzes Aufblitzen, dann war das Haus wieder hinter dem Gelb und Grün der Bäume verschwunden, so plötzlich, wie auch sein Besitzer aufzutauchen und wieder zu verschwinden pflegte.
Kaum waren die Leinen um die Polder geschlungen, sprang die Kommissarin auf den „Op'n Bull'n", wie der Anleger genannt wurde. Sie schlenderte den gepflasterten Strandweg entlang, zwischen grün gestrichenen Gartenzäunen und herbstlich verfärbten Hecken. Vor dem prächtig weißen Jugendstilgebäude des Strandhotels blieb sie zögernd stehen, genehmigte sich dann jedoch einen Cappuccino auf der Terrasse und sah über den mit Segelbooten verzierten Strom hinaus, der unter der späten Nachmittagssonne eine gelbliche Tönung angenommen hatte. Ihr Blick wanderte immer wieder zum Kanonenberg mit seinem Leuchtfeuer hinauf und zu dem stillen Park, der an seinem Rand eine alte weiße Villa verbarg. Der Ort zog sie magisch an. Sabine Berner bezahlte, ging noch ein Stück den Strandweg entlang und stieg dann die Oestmannstreppe hoch, die in den steil ansteigenden Baurs Weg mündete.
Immer wieder blieb sie stehen, um den Blick zurück über die Elbe wandern zu lassen, um die schönen Häuser am Weg zu bewundern und um das -sicher nur vom Treppensteigen unruhig klopfende Herz wieder zur Ruhe kommen zu lassen.
Sabine warf einen Blick über das Tor, folgte dann jedoch einem Pfad um das Grundstück herum. Sie kam sich wie in einem grünen Gewölbe vor: dichte Büsche auf der einen Seite, eine Hecke auf der anderen, ausladende Äste über ihrem Kopf. Ein Lied vor sich hin summend, folgte sie den verschlungenen Pfaden durch den Park, mal unter düsteren alten Bäumen, mal an gepflegten Rasenflächen vorbei, erst bergab und dann steil hinauf, bis sie außer Atem zu Füßen des rot-weißen Stahlkolosses stand.
Prächtig versank die Sonne hinter dem Alten Land und verwandelte den Fluss in glühende Lava, die langsam verblasste, noch einmal in Altrosa aufleuchtete und dann erlosch. Die letzten Segler strebten ihrem Heimathafen zu, ein paar Möwen folgten ihnen kreischend. Sabines Gedanken wanderten schon wieder zu der Villa, die dort hinter den Bäumen verborgen lag. Langsam schlenderte die junge Frau zu den Bänken hinüber, die im Halbrund, hoch über dem Ufer, zum Verweilen einluden, um in Ruhe den Ausblick auf den Strom genießen zu können.
„Forever young, I want to be forever young", summte sie vor sich hin. „Do you really want to live forever, forever, forever young."
„Würden Sie das gerne?", erklang die Stimme, die sie in ihrem Geist bewegt hatte, unvermittelt neben ihr. „Jetzt habe ich Sie wieder erschreckt!", fügte Peter von Borgo bedauernd hinzu.
„Puh, ja, das haben Sie. Guten Abend, Herr von Borgo, welch ein Zufall, Sie hier zu sehen."
„Ich drehe hier gerne eine abendliche Runde, wenn im Park Ruhe einkehrt und die lärmenden Fremden wieder auf dem Heimweg sind. Darf ich Sie auf ein Glas Wein zu mir bitten?", fragte er höflich.
Sabine zögerte einen Moment, dann nickte sie. „Gern."
Er hob den Ellenbogen und sah sie lächelnd an. „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, mein Arm und Geleit Ihr anzutragen?"
Sabine kicherte, sagte aber artig: „Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleit nach Hause gehn."
Peter von Borgo strahlte. „Sie lieben also nicht nur die Musik!"
Der Vampir und die Kommissarin unterhielten sich lebhaft über Faust und Mephisto und die Aufführung im Hamburger Schauspielhaus mit Gustaf Gründgens Anfang der 60er Jahre.
„Ich habe mir die Videokassette bestimmt zehnmal angesehen", schwärmte
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