Der Duft des Blutes
hatte. Unter seinem Blick zerfiel ihr Misstrauen zu Staub und verwehte. Neugierig wanderten ihre Augen weiter an den Buchrücken entlang. Sie merkte nicht, wie dicht der Vampir hinter ihr stand und sie mit gierigen Blicken verschlang.
Plötzlich hielt ihr Finger bei einer Reihe Bücher an, denen man es ansah, wie oft sie schon aufgeschlagen worden waren: Bram Stokers Dracula, Das Leben des Fürsten Vlad Tepes, die Romane Interview mit einem Vampir, Dunkel, Schloss der Vampire und Lange Zähne, ein Vampirlexikon und viele andere Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigten. Darunter standen Videokassetten: Coppolas Dracula, Dracula, Price of Darkness mit Christopher Lee, Nosferatu mit Klaus Kinski, Dracula mit Bela Lugosi, The many Faces of Dracula mit Max Schreck, Polanskis Tanz der Vampire und viele mehr.
So, so, ein Vampirfan war der Kunst-und Kulturliebhaber Peter von Borgo. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, doch plötzlich rann ihr ein kalter Schauder über den Rücken, die Nackenhaare stellten sich auf. Ihr war, als spüre sie einen kalten Atemhauch an ihrem Ohr. Erschreckt fuhr sie herum.
Als Sabine sich umwandte, saß Peter von Borgo auf dem Klavierhocker, das Weinglas in den Händen, den Blick auf die Tasten gesenkt.
„Nun habe ich mich verraten", seufzte er, ohne aufzusehen.
Die junge Frau schüttelte das beklemmende Gefühl ab und trat lächelnd an den Flügel heran.
„Oh ja, und versuchen Sie nicht, mir weiszumachen, Sie hätten die Bücher nicht gelesen. Man sieht es ihnen an, wie oft sie durchgeblättert wurden!"
Er schaute sie mit einem Blick an, in dem komische Verzweiflung schwang. „Ich könnte ja behaupten, mein Vater habe sie gekauft- auf dem Flohmarkt."
Sabine kicherte und ließ sich das Glas wieder vollschenken. „Ich würde es Ihnen nicht glauben, aber wenn wir schon dabei sind, unsere tiefen Abgründe zu öffnen - ich habe Coppolas Film viermal gesehen, und es gruselt mich immer noch!"
Erleichterung breitete sich über sein ebenmäßiges Gesicht aus. Wie blass er doch war und wie gut er aussah. Seine Ausstrahlung war unglaublich erotisch. Sein Alter war nur schwer zu schätzen. Nur das wissende Lächeln und die ausdrucksvollen Augen verrieten, dass er schon lange keine zwanzig mehr war.
„Dann habe ich es mir also nicht für immer und ewig mit Ihnen verscherzt?"
Wollte er mit ihr flirten? Ihr Herz klopfte wieder einmal wild. Verlegen trat die junge Frau ans Bücherregal, zog Bram Stokers Dracula heraus und begann darin zu blättern, während der Vampir die Finger über die Tasten laufen ließ.
Nach einer Weile erhob er sich, trat zu ihr und zog ein schmales, hohes Buch aus dem Regal. „Sehen Sie sich das einmal an."
Gehorsam ließ sich Sabine auf das Sofa sinken und schlug das Buch auf. Es enthielt Ausschnitte aus Stokers Dracula, kurze Szenen oder Dialoge -und Aquarelle: anziehend und abstoßend, erregend und erschreckend, herrlich und grausam. Ein Sog erfasste sie, ein Strudel, der sie mit in die Tiefe riss. Irgendwann nahm ihr der Vampir das Buch aus der Hand.
„Ich bringe Sie jetzt nach Hause! Winterhude?"
„Nein, ist nicht nötig, ich kann die S-Bahn nehmen."
„Es ist spät, und ich habe nichts getrunken. Sie können sich mir also ruhig anvertrauen." Er deutete auf sein noch volles Glas. Die Kommissarin sah auf ihre Uhr. „Oh, schon zwölf. Also gut, dann bringen Sie mich nach St. Georg, Brennerstraße, oben am Krankenhaus."
Er führte sie in die Diele hinaus. „Haben Sie keine warme Jacke mit? Es ist kühl geworden." Er hielt ihr seine gefütterte schwarze Lederjacke hin und schlüpfte selbst in einen grauen Pullover.
„So verfroren bin ich nicht", wehrte die junge Frau ab und folgte ihm zum Schuppen hinüber, wo die Hayabusa stand.
„Mit dem Motorrad?", fragte sie ein wenig entsetzt und schielte auf das Nummernschild.
„Aber ja, ziehen Sie die Jacke lieber an." Er schob die schwere Maschine auf den Weg hinaus und schwang sich auf den Sitz.
„Los, kommen Sie!"
„Aber doch nicht ohne Helm", wehrte Sabine ab.
Der Vampir lachte. „Ich liebe es, wenn mir der Wind um die Ohren weht. Ich verspreche Ihnen, die Polizei wird uns nicht erwischen."
„Na dann", murmelte sie, setzte sich hinter ihn und schlang die Arme um seine Mitte. Der Motor heulte auf, das Gartentor glitt zurück, und mit einem Satz waren sie auf der Straße. Na prima, dachte Sabine und schüttelte über sich selbst den Kopf. Die Schlagzeile würde gut werden: Kommissarin
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