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Der Duft des Blutes

Titel: Der Duft des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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zu klettern, und schob sie dann auf den Sattel des Motorrads. Sabine folgte ihm wie im Traum. Sie spürte ihre Blasen nicht mehr, und auch die Kälte der Nacht berührte sie nicht. Ihre Gedanken waren in einem seltsamen Tanz gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab. Etwas ging mit ihr vor sich. Etwas, das sie nicht begreifen wollte. Was war es, das nach ihr griff, das ihr Verstand sich weigerte zu sehen? Ein großer, unheimlicher Schatten schwebte über ihr und rieb sich an ihrem Geist. Gab es eine Wahrheit jenseits der Wissenschaft? Konnte ein menschlicher Verstand das Unfassbare begreifen oder würde er daran zerbrechen? Der Schlaf mit seinen tröstlichen Träumen erlöste sie, kaum dass der Vampir die Daunendecke über sie gebreitet hatte.
    Fast wahnsinnig vor Gier und unterdrückter Leidenschaft eilte Peter von Borgo die Treppe hinunter und stieß im ersten Stock mit einem verschwitzten jungen Mann in Joggingkleidung zusammen. Brutal griff er ihn am Hals und drückte ihn gegen die Wand. Mit einer heftigen Bewegung bog er seinen Kopf zurück. Die Zähne fuhren tief in den Hals seines Opfers. Mit der Hast eines Verdurstenden sog er den Leben spendenden Saft in sich ein, bis Lars Hansen ohnmächtig zusammensackte. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, stieg der Vampir über ihn hinweg und verließ das Haus in der Langen Reihe. Wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, blieb er vor der Haustür noch einige Augenblicke stehen, lauschte und sog prüfend die Nachtluft ein.
    Er witterte etwas, das ihm nicht gefiel. Ein Mann, dessen Geruch er schon öfters in Sabines Nähe wahrgenommen hatte und einmal auch ganz deutlich in seinem Garten. Der Vampir wischte sich die dunklen Linsen aus den Augen und ließ suchend den Blick schweifen. Ein Stück weit die Straße hinunter stieg ein Mann in einen schwarzen Golf, startete den Motor und jagte dann davon.
    Nachdenklich schlenderte Peter von Borgo in Richtung Bahnhof und wandte sich dann nach Süden. Dort, wo heute Schienenbündel zum Bahnhof streben und Autos sich über die breite Wallstraße schieben, ragte einst die Altmannshöhe am weidengesäumten Stadtgraben auf. Welche Schlachten hatten sich hier zwischen den Buben der Armenschulen und den stolzen Johanniterzöglingen zugetragen! Und dann dahinter das Deichtor zwischen den sternförmig in den Wassergraben ragenden Festungsbauten und der Windmühle, deren weiße Flügel sich im Nachtwind drehten. Heute lärmte der Verkehr über den Deichtorplatz.
    Über den Wandrahmsteg gelangte der Vampir zur Speicherstadt. Das geschlossene Tor hinter der Brücke störte ihn nicht. Für ihn gab es überall Wege, die ihm niemand verwehren konnte. Am Fuß der stillen Speicherbauten schritt Peter von Borgo den Alten Wandrahm entlang, überquerte bei St. Annen die Brücke und folgte dann dem Annenufer bis zum Kannengießerort. Tröstlich vertraut zeichnete sich die Silhouette des Sandthorquaihofes gegen den Nachthimmel ab. Das Wasser schimmerte in schmalen Rinnen in der Mitte der Kanäle, während die Ebbe am Fuß der Speicherbauten die gewellten Schlickflächen entblößt hatte. Mit geschlossenen Augen sog der Vampir die modrig feuchte Luft ein, unter die der Wind den Duft gerösteten Kaffees von der Börse schräg gegenüber mischte.
    Als der Morgen graute, stieg Peter von Borgo die sechs Treppen im Speicher P hinauf, schlüpfte zwischen den losen Brettern hindurch und legte sich in seinen Sarg, das Gesicht in Sabines Nachthemd vergraben. Als die ersten Sonnenstrahlen die Spitze des Michaels berührten, erstarrten seine Gesichtszüge zu einer wächsernen Maske, und sein Atem stockte.
    Während die Sonne ihre Reise über den wolkenverhangenen Himmel antrat, wuchsen -wie an jedem Tag -die abgeschnittenen schwarzen Haare, bis sie wieder die Länge erreichten, die sie einst hatten, als ihm ein kräftiger Mann mit bleichem Gesicht seine spitzen Zähne in den Hals geschlagen hatte.
     

Der Zuhälter
    Das Klingeln an der Tür riss die Kommissarin aus dem Schlaf. Sie warf sich ihren Bademantel über und tappte zur Tür. Vorsichtshalber spähte sie erst durch den Spion, ehe sie die Tür aufriss.
    „Lars, was ist denn mit dir los?"
    Das weißblonde Haar stand nach allen Seiten ab, sein Gesicht war totenbleich. Er trug noch den schlammverspritzten Jogginganzug vom Vorabend, das weiße T-Shirt war am Halsausschnitt blutverschmiert. Er wankte auf Sabine zu und fiel ihr geradewegs in die Arme.
    „He, bist du betrunken?"
    Lars schüttelte den Kopf und

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