Der Duft des Regenwalds
Grabungsstätte heimliche Zusammentreffen mit Andrés erschweren würde.
»Alice!« Er hob die Hände zu einer beschwörenden Geste, die sie übertrieben dramatisch und fast lächerlich fand. »Eben weil es mir um dich geht, bitte ich dich, diesen Unsinn zu lassen. Palenque liegt im Dschungel. Dort ist es verflucht heiß, du kannst dir das Sumpffieber holen oder … oder von einem wilden Tier angefallen werden, also jedenfalls ist es gefährlich. Du wirst dort nichts finden außer ein paar Ruinen, für die du nie besondere Begeisterung gezeigt hast. Ich bin mir sicher, dass deine Familie in Deutschland schon in Sorge um dich ist.«
»Und ich bin mir dessen nicht so sicher. Im Gegensatz zu dir kenne ich meine Familie. Wenn ich eines von meinem Vater gelernt habe, dann ist es, sich von Männern, die immer alles besser wissen, keine Vorschriften machen zu lassen.«
Er ließ die Hände sinken und lächelte.
»Madre de Dios, kannst du giftig sein.«
Es klang fast wie eine Kapitulation. Widerwillig erwiderte Alice sein Lächeln.
»Eine meiner herausragendsten Eigenschaften. Es wurde wirklich Zeit, dass du sie kennenlernst.«
Der Graben zwischen ihnen schien ein klein wenig schmaler geworden zu sein. Juan Ramirez lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, streckte gleichzeitig seine Arme in ihre Richtung aus. Es lag nichts Drängendes in dieser Geste, nur eine ruhige Bitte. Alice reichte ihm nach kurzem Zögern ihre Hände und staunte, wie wohl es tat, als seine Finger über ihren Handrücken strichen.
»Ich glaube, es gibt Leute, die nicht wollen, dass du weitere Nachforschungen anstellst«, sagte er leise. »Der Vorfall in San Cristóbal macht mir Sorgen. Wer weiß, was man mit dir angestellt hätte, wenn ich nicht gekommen wäre.«
Ein ungutes Gefühl machte sich in Alice’ Magen breit, denn sie wusste es auch nicht.
»Du glaubst also auch, dass es nicht so ist, wie dein Schwager und deine Schwester sagen. Dass nicht Andrés meinen Bruder auf dem Gewissen hat. Denn wie und vor allem warum hätte er versuchen sollen, mich nach der Beerdigung zu verschleppen?«
Juan Ramirez hielt weiter ihre Hände fest und zog sie sanft in seine Richtung.
»Ich weiß es nicht. Aber es wäre mir lieber, wenn du nach Hause fahren würdest.«
Abrupt zog Alice ihre Hände zurück und rückte auf dem Bett ein Stück nach hinten.
»Das habe ich bereits oft genug gehört. Aber beantworte bitte meine Frage. Meinst du immer noch, es war Andrés?«
Er stampfte mit dem Fuß auf, als habe seine Laune sich schlagartig verschlechtert.
»Ich bin kein Hellseher. Aber nein, ich glaube es nicht, wenn du es unbedingt wissen willst. Ich mochte ihn. Er war klug und hatte keine Angst, den Mund aufzumachen. Man kann aber sehen, wohin ihn das gebracht hat. Also verhalte dich bitte vernünftig. Wir können morgen schon nach Veracruz aufbrechen.Ich sorge dafür, dass diese Reise angenehmer verläuft als die erste, und den Hund kannst du auch mitnehmen.«
Seine Stimme war wieder lauter geworden. Diese Worte durften also gehört werden, dachte Alice. Langsam stand sie auf und sah auf sein pechschwarzes, dichtes, lockiges Haar hinab.
»Vor wem hast du Angst, Juan?«, flüsterte sie. »Du willst nicht zeigen, was zwischen uns geschehen ist, sondern mich möglichst schnell auf den nächsten Dampfer schleppen. Das wolltest du von Anfang an … nein, erst seit die Nachricht von Patricks Tod eintraf. Wer möchte verhindern, dass ich irgendetwas entdecke, das verborgen bleiben soll? Hans Bohremann, von dessen Geld du lebst? Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist deine Schwester, die hinter alldem steckt. Was hat die feine Dame angestellt, das du vor mir verheimlichst?«
Er zuckte, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt, und erstarrte. Mit zornig funkelnden Augen sah er zu ihr hoch.
»Du weißt nichts über Rosario. Sie ist keine verwöhnte reiche Tochter wie du, die irgendwann beschloss, nur noch ihren eigenen Kopf durchzusetzen, weil sie so mehr Spaß hat. Ihr Leben war viel härter, als du es dir vorstellen kannst. Also urteile nicht über sie!«
Alice trat einen Schritt zurück. Ihr Gesicht brannte wie nach einer Ohrfeige.
»Wie du meinst. Aber du weißt auch nicht genug über mich, um voreilige Schlüsse ziehen zu können. Und jetzt verschwinde!«
Er rührte sich nicht, sah sie an. Seine Augen wurden sanfter, doch Alice verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. »Lo siento«, murmelte er und erhob sich. Seine Umarmung war wie ein
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