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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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im Dunkeln mit Andrés zu stehen, als gehöre die Welt für ein paar Augenblicke nur ihnen beiden. Sie glaubte, ein Flackern in seinen Augen zu erkennen, doch sobald sie ihn genauer ansah, senkte er den Blick. Sie ahnte, dass ihn ebenjene Befangenheit plagte, die auch ihren eigenen Körper einschnürte. Wie einfach es doch gewesen war, Juan Ramirez zu berühren, sich wie ein hungriges Tier auf ihn zu stürzen und die elegante Kleidung von seinem schönen Körper zu reißen! Nun wurde sie von einer ihr bisher unbekannten Furcht gelähmt, durch einen unbedachten Schritt etwas Zartes und Kostbares zu zerstören. Ob er sich aus demselben Grund zurückhielt, vermochte sie nicht zu sagen. Es war ebenso gut möglich, dass sie ihm völlig gleichgültig war.
    »Ich fürchte, ich kann noch nicht schlafen«, begann Alice hilflos. Sie überlegte, ihn zu bitten, dass er sie zum Bach begleite. Es hätte ihr gefallen, sich noch kurz mit frischem Wasser waschen zu können, aber sie fürchtete, er könne dies als plumpen Versuch der Annäherung werten.
    »Wollen wir uns den Palast bei Nacht ansehen?«, fragte Andrés plötzlich, und sie war ihm unendlich dankbar, dass er sie von ihrer Verlegenheit befreit hatte. Etwas kratzte an der Innenseite ihrer Hütte.
    »Mariana!«, rief Alice erfreut und öffnete die Tür. Der Anblick des gleich darauf fröhlich um ihre Beine springenden Hundes entspannte sie ein wenig.
    »Sollen wir eine Öllampe besorgen?«, fragte sie Andrés, der den Kopf schüttelte.
    »Das würde nur die Mücken anlocken. Der Mond scheint hell genug.«
    Alice empfand die Nacht als finster, beschloss aber, sich auf seine Führung zu verlassen. Die Stufen zu dem Palast waren nicht ganz so hoch wie bei den Tempelgebäuden, doch als sie den grasbewachsenen Innenhof betraten, wo Alice bereits die meisten der großen Reliefs kopiert hatte, stieß sie hörbar die Luft aus.
    Andrés fuhr mit seinem Hut über einen großen Felsen, als wolle er mögliches Ungeziefer verjagen.
    »Hier können wir uns für eine Weile setzen«, schlug er vor, und Alice gehorchte. Mariana drehte schnuppernd ein paar Runden, um sich dann zu ihren Füßen niederzulassen.
    »Wie es hier wohl ausgesehen haben mag, als der Palast noch bewohnt wurde?« Diese Frage beschäftigte Alice jedes Mal, wenn sie eine der Ruinen betrat.
    »Das werden wir im Detail vermutlich nie erfahren. Wir haben nur die Reliefs, um uns ein Bild zu machen«, entgegnete Andrés. Sie unterdrückte den Kommentar, dass ein Ingenieur wohl immer an seiner erbarmungslosen Sachlichkeit zu erkennen wäre. Wieder saßen sie eine Weile stumm beisammen, doch diesmal empfand Alice das Schweigen nicht mehr als quälend und verkrampft, sondern sie genoss es, einfach an seiner Seite sitzen zu können. Als sie zu reden begann, geschah es aus dem Bedürfnis, tatsächlich etwas von ihm zu erfahren.
    »Wie war es, als Patrick sich noch an den Arbeiten hier beteiligte? Ähnlich wie die letzten Tage?«
    »Nein, nicht ganz. Die Stimmung war deutlich angespannter, denn er und Dr. Scarsdale hatten oft Streit. Vor allem gegen Ende, als Ix Chel hier auftauchte.«
    Alice sah ihn neugierig an.
    »Kam Dr. Scarsdale denn nicht damit zurecht, dass Patrick eine Geliebte hatte? Ich weiß, er will hier keine Frauen, weil er meint, dass die Männer dann Ärger machen, aber mein Bruder war einer der Patrones, da müsste sein Mädchen doch für die Arbeiter tabu gewesen sein.«
    Andrés zog einen Beutel mit Tabak aus der Tasche und begann, eine Zigarette zu drehen. Er hielt sie Alice hin, fertigte dann noch eine für sich selbst an. Sein Feuerzeug bestand aus einem Stück Stahl, einem Feuerstein und einem kleinen Schwamm, der als Lunte genutzt wurde. Alice staunte, wie geschickt er mit diesem archaischen Werkzeug zu hantieren vermochte.
    »Patrick beschützte Ix Chel«, berichtete Andrés. »Und das veränderte ihn. Ehrlich gesagt, hatte ich am Anfang Zweifel, wie lange er es in Mexiko aushalten würde. Er war so weich, so nett und verletzlich. Die Arbeiter behandelte er so freundlich, dass nichts voranging, weil sie taten, was ihnen gefiel. Wenn die Aufseher eingriffen, schalt er sie für ihr hartes Vorgehen. Sie verachteten ihn, aber auch die Arbeiter nahmen ihn nicht für voll.«
    Alice senkte den Kopf. Diese Worte lösten einen stechenden Schmerz in ihrem Inneren aus, denn sie wusste, dass sie der Wahrheit entsprachen. Bereits in Deutschland waren übertriebene Freundlichkeit und mangelndes Durchsetzungsvermögen

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