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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Bruder bei einem archaischen blutrünstigen Ritual geopfert haben soll. Das passt nicht zusammen. Zudem hat mein Bruder Andrés Uk’um geschätzt und ihn in vielerlei Hinsicht unterstützt.«
    Rosario entspannte sich ein wenig. Sie nahm auf dem Bett Platz.
    »Mexiko ist ein Land, das Europäer schnell durch seine Farbenpracht begeistert und ihnen fast wie ein irdisches Paradies erscheint. So hat Ihr Bruder mir seine ersten Eindrücke beschrieben. Aber in Wahrheit herrscht hier seit Jahrhunderten das Recht des Stärkeren. Lange habe ich es als selbstverständlich empfunden, dass Männer mit einem Gewehr in der Hand tun und lassen können, was ihnen gefällt.«
    Sie verstummte für einen Moment, und ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Alice staunte über die Offenheit der Hausherrin, der sie ohne jeden Groll zuhörte.
    »Als ich Hans traf, lernte ich erstmals in meinem Leben einen Mann mit Geld und Einfluss kennen, der andere Ziele hatte, als einfach sein Bedürfnis zu stillen. Der nach Prinzipien der Gerechtigkeit und des Anstands handelte, obwohl viele seiner Standesgenossen ihn deshalb verlachten. Es ist schwer für mich zu ertragen, wenn er von einer Fremden als Tyrann bezeichnet wird.«
    Sie richtete wieder anklagend ihren Blick auf Alice, doch zum ersten Mal lag echtes Gefühl in ihren Augen. Alice wurde klar, dass Hans Bohremann durch seine Heirat mit dieser Mexikanerin aus einfachen Verhältnissen eine Verbündete von unbedingter Loyalität gewonnen hatte. Wer auch immer ihm Übles wollte, bekäme es mit Rosario zu tun, die mehr Kampfgeist zu besitzen schien als zehn Hans Bohremanns zusammen. Das allein sprach für die Klugheit des Kaffeebarons, denn ein verwöhntes Mädchen aus reicher Familie wäre vermutlich viel kritischer und anspruchsvoller gewesen.
    »Es freut mich, dass Sie solches Glück bei der Wahl Ihres Ehemannes hatten, und ich hatte nicht die Absicht, seine Gefühle zu verletzen«, sagte Alice versöhnlich. »Doch wie gesagt, ich bin wirklich nicht überzeugt davon, dass seine Einschätzung der Umstände, die zum Tod meines Bruders führten, richtig ist. Es ist durchaus möglich, dass ich mich täusche. Ich wollte nur eine persönliche Unterredung mit dem Verdächtigen, nichts weiter. Nun wurde sie mir gestattet. Ich bedauere außerordentlich, dass dafür ein Streit vonnöten war.«
    Sie richtete sich auf, denn sie war sehr zufrieden mit ihrem Versuch, die Wogen durch die richtige Wortwahl zu glätten. Rosario sah auch nicht mehr so angriffslustig aus, sondern beugte sich in fast vertraulicher Weise zu Alice vor, um leiser fortzufahren:
    »Sie kennen die Indios nicht, Fräulein Wegener. Ich hingegen bin mit ihnen aufgewachsen. Manche von ihnen besitzen erstaunliche Talente, aber dennoch sind sie einem zutiefst primitiven, brutalen Volk verbunden, allein aufgrund ihrer Herkunft. Soll ich Ihnen erzählen, was während eines Aufstandes vor ungefähr fünfzig Jahren geschah?«
    Alice nickte und sank auf ihren Stuhl.
    Als sie zwei Stunden später für ihren Besuch bei Andrés Uk’um abgeholt wurde, saß ihr das Grauen noch in den Knochen, aber sie hatte ihre Liste mit den Fragen vollendet. Zusammengefaltet ruhte sie in ihrer Hand und gab ihr bei all der Aufregung und Angst, die sie empfand, ein Gefühl der Sicherheit. Sie hatte einen Leitfaden, der sie durch die schwierigste Unterhaltung lotsen sollte, die sie in ihrem Leben jemals geführt hatte.
    Der Bedienstete sprach kurz mit den zwei Wachmännern, die Alice abschätzig musterten, bevor sie mehrere Riegel an der Tür zurückzogen, um sie zu öffnen. Dunkelheit tat sich auf, und der Gestank nach Schweiß und verbrauchter Luft schlug Alice entgegen. Sie musste würgen, denn sie fühlte sich an jene grauenhaften Stunden erinnert, die sie vor Kurzem als Gefangene verbracht hatte. Die zwei Wachmänner machten Anstalten, ihr zu folgen, doch Alice winkte energisch ab. In Gegenwart dieser bewaffneten Gestalten wäre sie nicht in der Lage, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Kurz tauschten die Wächter ratlose Blicke. Alice hatte hier nichts zu sagen, allein der Umstand, dass sie ein Gast des Patrons war, verlieh ihr ein wenig Einfluss. Schließlich gingen die zwei grimmigen Gesellen nach draußen. Alice hörte die Tür in ihrem Rücken zufallen und versuchte verzweifelt, sich an die schlechte Luft zu gewöhnen. Durch eine schmale Öffnung am hinteren Ende des Raumes drang ein spärlicher Lichtstrahl, der einzige, schwache Hinweis auf den

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