Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
ich hatte das Gefühl, schon seit Stunden auf den Beinen zu sein. Mein wehes Bein schmerzte, und ich lehnte mich erneut an eine Mauer, um mich auszuruhen. Die Gassen, kaum mehr als schmale Durchgänge, waren so eng, dass ich über mir nur noch einen schmalen Streifen Himmel erkennen konnte. Ich bemühte mich, die Panik unter Kontrolle zu bekommen, die mir im Nacken saß. Hin und wieder hörte ich ein gedämpftes Plätschern durch die Mauern, das von den Springbrunnen in den Innenhöfen herrührte. Dann und wann war aus einer anderen Gasse langsames Hufgetrappel auf den Pflastersteinen zu vernehmen. Ich wich den Hinterlassenschaften der Esel, Pferde und Ziegen aus, ebenso den Rinnsteinen. Auf einem Haufen mit Gemüseabfällen sah ich eine tote Katze, die jemand achtlos hingeworfen hatte. Angesichts der hohen Steinmauern, die verhinderten, dass die Sonnenstrahlen in die engen Gassen drangen, war es angenehm kühl, und mir leuchteten Bauweise und Struktur der Medina ein.
Als ich in eine andere Straße einbog, hörte ich aus der Nähe ein mechanisches Summen. Ich folgte dem Geräusch und bog abermals in eine Gasse ab, die von winzigen Nischen in den Mauern gesäumt wurde. In jeder saß ein alter Mann über eine altertümliche Nähmaschine gebeugt, und ich fühlte mich an meine Mutter erinnert. Offensichtlich befand ich mich in der Schneidergasse.
In der nächsten Gasse führten in den Mauernischen Männer Holzarbeiten aus. Sie waren nicht so alt wie die Schneider und benutzten eine Reihe von Werkzeugen und Maschinen, die manche von ihnen sogar mit den Füßen bedienten.
Schließlich fand ich mich auf einem kleinen Platz wieder. Darüber spannten sich von Dach zu Dach kreuz und quer Leinen, auf denen Wollstränge hingen: ein riesiger Baldachin aus Farben. Das also war die Färbergasse. Die Farben der Wollstränge reichten von Scharlachrot über Orange und Gelb, Ozean- und Lindgrün und Violett bis zu Blautönen, alle in den unterschiedlichsten Schattierungen. Einen Moment lang blieb ich stehen und blickte ehrfürchtig hinauf. Dann sah ich, dass die Färber alle noch Jungen waren, kaum älter als zwölf oder dreizehn. Auch sie saßen im Schneidersitz auf einer Pritsche in kleinen Nischen und rührten in Bottichen voller Färbeflüssigkeit, nachdem sie zuvor rohe grauweiße Wolle hineingegeben hatten. Ihre Hände, mit denen sie die hölzernen Rührstangen hielten, waren bis zu den Handgelenken in einem schmutzigen Schlammbraun verfärbt. Als ich vorbeiging, sahen sie mich an, ohne ihr unentwegtes Rühren zu unterbrechen. Aus den Bottichen stieg Dampf auf, und ich konnte mir die schreckliche Hitze vorstellen, die in den gewölbten Mauernnischen herrschte.
Sharia Zitoun befände sich hinter der Färbergasse, hatte der babouche- Verkäufer gesagt. Am Ende der Gasse blieb ich stehen: Sie gabelte sich, und ich musste mich entscheiden, ob ich mich nach links oder rechts wandte. An einer Mauer sah ich ein winziges Schild, aber es war auf Arabisch. Ich entschied mich, zunächst nach links zu gehen. Nach wenigen Metern rannten drei kleine Kinder auf mich zu. » Madame!«, riefen sie, woraufhin sich ein Tor öffnete und eine dicke Frau den Kopf durch den Spalt streckte, die sich ein Tuch vor das Gesicht hielt. Sie schrie den Kindern etwas zu, und die stoben davon.
» Pardon, Madame«, sagte ich.
Ihre Augen sahen mich unfreundlich an.
» Je cherche Sharia Zitoun«, sagte ich.
Ihr Ausdruck veränderte sich ein wenig.
» Parlez-vous français, Madame?«, fragte ich. » Sharia Zitoun«, wiederholte ich langsam und deutlich.
Die Frau nickte und wies auf die Gasse. Ich folgte mit dem Blick ihrem Finger, verstand aber nicht, bis sie sagte: » Sharia Zitoun.«
» Ah. Ici? Das ist also die Sharia Zitoun?«
Wieder nickte sie.
» Bitte, Madame, ich suche Manon Maliki.«
Die Frau wich zurück.
» Manon Maliki«, sagte ich wieder und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Dann tat die Frau etwas Seltsames. Sie tauchte die Hand in eine Tasche ihres Kaftans und zog ein kleines Ledersäckchen hervor, das sie fest umklammerte. Ich wusste, dass es ein Amulett war, um die Dschinn abzuwehren. Aziz hatte ebenfalls eines bei sich getragen. Ich wusste nur nicht, ob es sie vor mir schützen sollte oder aber vor irgendeinem Fluch, der Manon anhaftete.
Doch dann hob sie die andere Hand und deutete über meine Schulter hinweg in eine Richtung. Ich drehte den Kopf und erblickte das Tor, auf das sie deutete.
» C’est là?«, fragte ich. »
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