Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
erblickte, heftete ich den Blick darauf, da ich wusste, dass es mich aus der Medina hinausführen würde. So schnell ich konnte, ging ich weiter, die Tasche an die Brust gepresst. Ich bemerkte, dass sich einzelne Strähnen aus den Haarnadeln gelöst hatten und dass das Kleid mir am Rücken klebte. Nicht nur wegen der Hitze, sondern auch wegen der Angst, die mich jäh überfallen hatte. Ich zog meinen kranken Fuß nach, der nicht mit dem anderen Schritt halten wollte, und wenn ich gekonnt hätte, wäre ich gerannt.
NEUNZEHN
A m Abend sprach ich mir selbst Mut zu. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag in die Medina zurückzukehren, ohne mich von abweisenden Blicken, unwillkommenen Berührungen oder abstoßenden Bildern und erschreckenden Lauten in die Flucht schlagen zu lassen. Ich war stark, redete ich mir ein.
Außerdem hatte ich gar keine andere Wahl.
Am folgenden Morgen machte ich mich abermals auf den Weg zu dem großen Tor in der Stadtmauer der Medina. Wieder sah ich zum Minarett der Koutoubia-Moschee empor, dann holte ich tief Luft und ging hindurch.
Diesmal hielt ich nirgendwo an, schenkte weder den bettelnden Kindern noch dem Glockengebimmel der Wasserträger mit ihren bunten, spitz zulaufenden Hüten und den Messingtassen und Wasserschläuchen aus Ziegenhaut Beachtung. Ich ging am Zahnzieher vorbei und schob mich durch eine Menge junger Männer, die sich um einen Flöte spielenden Schlangenbeschwörer und seinen Korb geschart hatte, aus denen sich mehrere Schlangen emporwanden. Und ich drehte mich auch dann nicht um, als mich eine Hand am Oberarm berührte, sondern zuckte nur erschrocken zusammen und setzte meinen Weg fort.
Eiligen Schrittes ließ ich den Platz hinter mir und strebte den Souks zu, wo ich von Stand zu Stand ging und immer wieder sagte: » Duverger, Duverger, kennen Sie die Familie Duverger?« Schließlich nahm ein Mann die vor der Brust gekreuzten Arme herunter, hob ein Paar babouches in leuchtendem Orange hoch und sah mich eindringlich an. » Diese Schuhe werden Ihnen ausgezeichnet stehen, Madame«, sagte er auf Französisch. » Gute Schuhe, ich verkaufe die besten Schuhe in ganz Marrakesch. Ich kann Französisch, Spanisch und Englisch. Ich bin viel gereist. Wo kommen Sie her? Aus England?«
» Nein, aus Amerika.«
» Aha, aus Amerika«, erwiderte er. » Ich hatte einmal eine wunderschöne amerikanische Braut. Sie wäre meine dritte Ehefrau geworden. Aber sie ist nach Hause zurückgekehrt.«
Ich nickte, auch wenn ich nicht wusste, ob ich seine Geschichte glauben sollte. Sein Augenweiß war gelblich, und er verströmte einen penetranten Knoblauchgeruch. » Gut«, sagte ich, » die Duvergers … kennen Sie sie?«
» Ich kannte Monsieur le Docteur«, erwiderte er.
» Tatsächlich? Sie kannten ihn? Dr. Etienne Duverger?«, sagte ich betont ruhig. Aus irgendeinem Grund wollte ich vor diesem Mann verbergen, wie wichtig mir seine Antwort war.
» Was ist mit den babouches, Madame? Kaufen Sie sie?«
Ich nahm die orangefarbenen Sandalen aus seinen Händen. »Ja, ja, ich kaufe sie. Aber bitte, was wissen Sie von Dr. Duverger?«
Er zuckte die Achseln. » Zuerst müssen wir über den Preis reden, den Sie bezahlen wollen. Wir trinken Tee und diskutieren darüber.« Er wedelte mit der Hand. Ich wollte protestieren, doch schon tauchte ein Junge von etwa zehn Jahren auf. Der Mann sagte etwas auf Arabisch, woraufhin der Junge losrannte. » Er bringt uns Tee. Setzen Sie sich, setzen Sie sich, Madame.« Er entfernte ein weiteres Paar babouches von einer Bank, die in einem anderen leuchtenden Farbton gefärbt waren. » Hier, nehmen Sie Platz, dann trinken wir Tee und reden über den Preis.«
Ich wollte doch nur, dass er meine Fragen beantwortete, doch mir wurde klar, dass ich zuerst das Spiel mitspielen musste. Also setzte ich mich. Der Stand war höchstens drei Meter breit und vielleicht einen Meter tief; ein strenger Ledergeruch lag in der Luft. » Bitte, Monsieur, können Sie mir jetzt etwas über Dr. Duverger erzählen?«
»Ich kannte Monsieur le Docteur Duverger«, sagte er erneut. »Er kam immer in die Souks, um kif und auch Lederwaren zu kaufen. Am liebsten kaufte er bei mir, weil ich Französisch sprach. Das war in der Zeit bevor …«, er machte eine ratlose Geste mit den Händen, »… dann hat ihn niemand mehr gesehen.«
» Was meinen Sie mit › bevor‹?«
» Vor Ausbruch seiner Krankheit. Von da an hat er das Haus nicht mehr verlassen.«
» Was für eine Krankheit?«
» Madame, mehr
Weitere Kostenlose Bücher