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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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intelligenten Augen sehen, dass sie mich sehr wohl verstanden hatte. Sie stellte den Eimer ab. In ihren haik gehüllt, unterschied sie sich in keiner Weise von den anderen Frauen, denen ich in den Gassen Marrakeschs bislang begegnet war.
    » Madame Maliki«, sagte ich nun zum dritten Mal, während ich mich bemühte, meine Verzweiflung zu verbergen.
    » Warum suchen Sie hier?«, fragte sie in perfektem Französisch, auch wenn ihre Stimme durch den Stoff des haik ein wenig gedämpft wurde.
    Ich straffte die Schultern. » Oh«, sagte ich, überrascht von dem festen, beinahe melodischen Ton ihrer Stimme. Wie konnte ich sie kurz zuvor noch für eine einfältige Frau gehalten haben? » Ich … ich bin hergekommen, weil ich mit ihr reden muss.« Es widerstrebte mir, hier in dieser schummrigen Gasse umständlich den Grund meines Besuchs erklären zu müssen.
    » Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte sie, und wieder ließ ihre modulierte Stimme Hoffnung in mir aufkeimen, obwohl ich andererseits auch ein wenig verärgert war, dass eine marokkanische Hausangestellte von mir erwartete, mich vor ihr zu rechtfertigen.
    » Es gibt keine Schwierigkeiten für Madame Maliki«, sagte ich. » Entschuldigen Sie, Madame, aber ich habe ziemlich große Mühen auf mich genommen, um sie zu finden. Wenn sie zu Hause ist, würde ich jetzt gern mit ihr sprechen. Könnten Sie sie bitte holen?«
    Die Frau wischte die Hand an ihrem haik ab. Sie hatte lange Finger mit ausgeprägten weißen Halbmonden an den Nägeln.
    » Kommen Sie«, sagte sie und zog das Tor weiter auf. Als ich über den Eimer mit der Kalktünche in den Innenhof trat, hielt ich den Atem an. Mein Blick huschte über den Boden, die Mauern, in jede Ecke und jeden Winkel. Was hatte ich erwartet? Dass Etienne hier sitzen würde? Oder vielleicht einen Hinweis auf seine Anwesenheit von ihm zu erhaschen – ein Jackett, das ich kannte, ein Buch mit einer Brille darauf?
    Aber nichts deutete auf seine Gegenwart hin. Es musste gerade ein Hausputz im Gang sein, denn einige Möbelstücke waren in den Innenhof geschoben worden – gepolsterte Ottomanen und Hocker sowie lange, schmale Matratzen, die mit bunten Stoffen bezogen waren, die, wie ich wusste, tagsüber als Sitzgelegenheiten und nachts zum Schlafen dienten. In der Mitte befand sich ein Springbrunnen, doch er enthielt kein Wasser, sondern nur abgestorbene, vertrocknete Blätter und den steifen Körper eines gelben Vogels, dessen winzige, schwarze Zehen an den Rumpf gekrümmt waren. Ein paar irdene Blumentöpfe waren mit vernachlässigten Geranien bestückt. Eine geflieste Treppe führte in den ersten Stock, in dem ich eine Reihe von Fenstern erblickte, die von Jalousien verhüllt wurden.
    Die Frau musterte mich noch immer. » Schieben Sie den Riegel vor«, sagte sie und beobachtete, wie ich ihrer Aufforderung nachkam. Dann drehte sie sich um und durchquerte langsam den Hof; ich sah, wie sich ihr Körper beim Gehen anmutig unter dem haik bewegte. Ich war unschlüssig, ob ich ihr folgen oder am Tor warten sollte. Ein Kind, vielleicht vier oder fünf, rannte zur Haustür heraus und in den Innenhof. » Maman«, sagte es, doch die Frau beachtete es nicht, sondern setzte sich auf eine der Matratzen. Dann erschien ein Mädchen im Hauseingang. Sie war vielleicht zehn oder elf, und ihre Haut hatte die Farbe von Milchkaffee. Sie war erschreckend dünn und trug ein einfaches Musselingewand. Ihre Knie und Ellbogen wirkten zu groß für ihre Gliedmaßen, ihr Kiefer hingegen zu eng. Ihr rechter Arm war mit Flecken übersät, und eines ihrer Augen war blutunterlaufen, das Lid geschwollen. Um den Kopf hatte sie ein geblümtes Taschentuch gebunden, und ihr lockiges Haar – das die gleiche Farbe wie ihre Haut hatte – hing in langen, wirren Strähnen herab. Sie hatte ebenfalls einen mit einem Lappen umwickelten Stock in der Hand und starrte mich ungeniert an.
    Ob das jüngere Kind ein Junge oder ein Mädchen war, vermochte ich nicht zu erkennen. Sein dickes, schwarzes Haar war im Nacken und an der Stirn gerade geschnitten, sein Pony so lang, dass er beinahe die großen Augen verbarg, die ebenso schwarz waren wie das Haar. Die Haut des Kindes war blass. Es trug ein über die Schultern drapiertes Kleidungsstück, für ein Hemd zu lang und für einen Kittel zu kurz, sowie eine Hose, die an den Knien zerrissen war. Es war barfuß. » Wer ist die Dame, Maman?«, rief das Kind.
    Das Kind sprach ein ebenso tadelloses Französisch wie seine Mutter. Es baute sich

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