Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
du, ich schere mich um deine Meinung?« Sie gab ein verächtliches Lachen von sich. » Du weißt doch gar nicht, welches Schicksal ich erdulden musste, du mit deinem bequemen Leben, deinem Haus mit Garten und dem Malen als Hobby, als Zeitvertreib, und deiner alten Katze zum Spielen. Dein Leben lang hast du immer tun können, was du wolltest.« Sie hatte die Schale mit dem majoun leer gegessen. Manon hob sie hoch und blickte mich über den Rand hinweg an, während sie die Reste der Haschischmarmelade mit ihrer spitzen, rosa Zunge ausleckte.
Ich starrte sie an. Woher wusste sie von meinem Garten und meiner Katze? Ich hatte ihr nichts davon erzählt. Mit Aszulay hatte ich flüchtig über meinen Garten gesprochen, aber über Zinnober … die Katze hatte ich nie erwähnt.
» Wenn du wirklich wüsstest, was das Leben ist – wenn du je außerhalb deiner kleinen, sicheren Welt gelebt hättest –, dann stünde dir das Recht zu, mein Verhalten zu kritisieren.« Sie stand auf und sah mich an. » Ich habe dich angelogen, weil ich es kann. Weil es mir Spaß machte, dich weinen zu sehen, dich schwach zu sehen. Du und Etienne, ihr habt ein gutes Paar abgegeben. Er ist genauso schwach wie du. Er hat dir ja nicht einmal von seiner Krankheit erzählt.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
» Seiner Krankheit?« Unwillkürlich dachte ich daran, dass sein Vater eine schwere Krankheit gehabt hatte.
Sie lachte, laut und fröhlich. »Etienne war zu schwach, um dir die Wahrheit zu sagen, und schämte sich, dich ihn so sehen zu lassen, wie er wirklich ist. Nur ich kenne seine Schwächen und Makel. Ich bin die Einzige, die ihn am Boden zerstört gesehen hat.«
» Von welcher Krankheit sprichst du?«
Manon setzte sich wieder und schenkte sich noch ein Glas Tee ein, ehe sie sich wieder zurücklehnte und träge ein Bein über das andere legte. Sie trank den Tee in einem Zug und rief dann auf Arabisch nach Falida. Das Dienstmädchen erschien mit der shisha und stellte sie vor Manon auf den Boden. Dann machte sie sich mit der Wasserpfeife zu schaffen, brachte ein Feuerzeug zum Vorschein und entzündete die Kohle, die auf Silberpapier über dem Tabak lag. Schließlich stülpte sie die Rauchsäule über das Tongefäß mit dem Tabak und reichte Manon den Schlauch mit dem Mundstück.
» Hast du denn die Anzeichen nicht bemerkt?«, fragte Manon und berührte mit den Lippen das Mundstück.
Ich blinzelte, suchte in ihrem Gesicht nach der Antwort.
» Er ist zwar noch im Anfangsstadium, aber dennoch können dir die Symptome doch nicht entgangen sein. Gleich als er hier ankam, wusste ich es. Er hat dieselbe Krankheit wie unser Vater. Bist du wirklich so blind, oder tust du nur so?«
Ich rief mir Etiennes Verhalten im Krankenhaus und bei mir zu Hause ins Gedächtnis, stellte mir verschiedene Szenen unseres Zusammenseins vor: wie wir im Restaurant zu Abend aßen, wie er seinen Wagen fuhr, wie wir zusammen im Bett lagen. Kleine, scheinbar unwichtige Bilder huschten mir durch den Kopf: wie ihm manchmal die Gabel oder das Messer entglitt und mit einem Klirren auf den Tisch fiel, sein gelegentliches Stolpern über einen Teppichrand. Wie er eines Nachts beim Durchqueren meines Schlafzimmers ins Straucheln geriet, und ich dachte, er sei einfach nur von einem langen Arbeitstag im Krankenhaus erschöpft oder aber dass er den Bourbon, den er nach dem Abendessen getrunken hatte, mehr als gewöhnlich spürte.
Das leere Pillenfläschchen, das ich in seinem Zimmer gefunden hatte, fiel mir wieder ein, das ein Medikament enthalten hatte, das bei Lähmungserscheinungen oder Epilepsie verschrieben wurde.
» Etienne hat alles von unserem Vater geerbt«, fuhr sie fort. » Ich bin leer ausgegangen. Doch nun bin ich froh, denn zusammen mit seinem Vermögen hat Marcel Duverger seinem Sohn auch etwas anderes vermacht.«
Ich tastete mit der Hand hinter mir nach dem Hocker und setzte mich darauf.
» Unser Vater hat Etienne auch die Dschinn hinterlassen, die von seinem Körper Besitz ergriffen hatten«, sagte sie. » Die Krankheit, die ihn umgebracht hat, wird nun auch Etienne töten. Aber bis dahin ist noch eine lange Zeit. Zuerst wird er leiden, so wie unser Vater gelitten hat.« Sie lächelte, ein ruhiges, träges Lächeln, während sie den Kopf ein wenig zur Seite neigte, als lauschte sie einer Musik, die aus der Ferne erklang, einer Musik, die sie wiedererkannte und liebte. » Aber glaubst du, mein Vater hätte mir wegen seiner Qualen leidgetan? Nein. Mein
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