Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
Vom Netzwerk:
des Herbstes bemerkbar machen, der Zug der Wildgänse, die Tomantenstauden würden welken und beim ersten Frost erfrieren. Im Geiste hörte ich den strengen Nordostwind ums Haus heulen, der Vorbote eines langen, harten Winters, nach dem wieder ein Frühling Einzug hielte, der so viel Regen brächte, dass die Bäume sich darunter biegen würden. Und auf den wiederum ein weiterer feuchter Sommer folgte. Gewiss, das war nur der normale Ablauf eines Jahres, weder besser noch schlechter als anderswo. Aber es war nicht nur der Gedanke an die Jahreszeiten, der mir die Brust einschnürte.
    Es war vor allem das Wissen, dass der Alltagstrott, der mein Leben bestimmt hatte, ehe Etienne in mein Leben trat und ich über den Ozean gereist war in dieses verwirrende, faszinierende und bisweilen auch beängstigende Land, wieder von vorn beginnen würde. Das Leben, das ich führte, bevor ich Farben erblickte und Laute hörte, die ich mir bis dahin nicht einmal im Traum hatte vorstellen können. Das Leben, das ich führte, bevor ich den Duft unbekannter Pflanzen einatmete, ehe mein Gaumen ungeahnte exotische Speisen kostete.
    Das Leben, bevor ich den tiefen Kummer kennenlernte, der mit dem Verlust eines Kindes einhergeht, und bevor ich erfuhr, was für ein Gefühl es war, ein Kind in den Armen zu halten, den Duft seines Haars einzuatmen und seinen Körper an meinem zu spüren.
    Ich wusste genau, wie mein Leben aussähe, wenn ich nach Albany zurückkehrte, nicht nur in den kommenden Monaten, sondern für immer. Ich war dreißig Jahre alt. Konnte ich ein solches Leben weitere dreißig oder noch mehr Jahre führen?
    Ich nahm meinen Pass in die Hand, der sich hart und unnachgiebig anfühlte. Nach Hause zurückzukehren würde mir kein Opfer abverlangen, aber ebenso wenig würde eine Belohnung auf mich warten.
    Ich wollte dieses Leben nicht mehr, wenn ich es allein führen musste. Dann fiel mir wieder Aszulays Blick ein, als ich ihm sagte, ich wolle bleiben und auf Etienne warten, um ihm beizustehen, während die Krankheit zusehends von ihm Besitz ergriff.
    Wie sollte er mich auch verstehen?
    Ich ging zum Fenster und blickte in den Palmengarten. Hoch droben am Himmel blinkten die Sterne, und die Dunkelheit jenseits der Hotellichter war erfüllt von Geräuschen: Rufe auf Arabisch und in anderen, mir unbekannten Sprachen, das Trommeln vom Platz her, die Laute der Haus- und Lasttiere. In der Nähe vernahm ich das plötzliche Flügelrauschen eines Nachtvogels, das schnelle, gummiartige Flattern einer Fledermaus und das Summen und Brummen von Insekten.
    Würde ich auf Aszulay hören und nach Hause zurückkehren? Oder würde ich meinem Herzen gehorchen und hierbleiben, um auf Etienne zu warten? Nur einen Monat noch. Einen Monat, falls Etienne tatsächlich Wort hielte.
    Wie so oft versuchte ich, mir Etiennes warmes Lächeln in Erinnerung zu rufen, den tiefgründigen Blick seiner dunklen Augen. Aber es fiel mir zusehends schwerer; er drohte mir zu entgleiten. So als würde das blendende Sonnenlicht von Marrakesch sein Bild ausbleichen und es weniger bedeutend erscheinen lassen.
    Ich verscheuchte den Gedanken an Aszulay, an den besorgten Blick seiner blauen Augen.
    Weder Manon noch Aszulay wollten, dass ich auf Etienne wartete, wenngleich jeder sicherlich aus einem anderen Grund. Aber ich musste es doch tun, oder nicht? Ich würde ihnen beweisen, dass sie unrecht hatten. Ich würde ihnen beweisen, dass Etienne mich liebte und mich brauchte, so wie ich ihn liebte und brauchte.
    Ich würde bleiben. Irgendwie würde ich einen Weg finden, um es möglich zu machen.
    » Inschallah«, sprach ich leise in die sanfte Nachtluft hinein.
    Am nächsten Morgen sagte ich Monsieur Henri, dass ich nicht länger im Hôtel de la Palmeraie logieren würde. Er war so höflich, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, auch wenn er mich seit dem Tag, da ich Aszulay und Badou auf mein Zimmer hatte kommen lassen, noch distanzierter behandelte als zuvor. » Verlassen Sie Marrakesch, Mademoiselle O’Shea?«
    » Nein. In ein paar Stunden komme ich wieder, um meine Rechnung zu bezahlen.«
    » Wie Sie wünschen, Mademoiselle.«
    Die ganze Nacht lang hatte ich mich in meinem Bett hin und her gewälzt, und als das erste blasse Licht durch das Fenster gefallen war, ließ ich den Blick durch das luxuriöse Zimmer schweifen. Dabei stellte ich mir vor, wie ich in den nächsten Wochen nachmittags unter den Palmen des Innenhofs sitzen würde, gemeinsam mit anderen

Weitere Kostenlose Bücher