Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
seltsame Geschwülste, Muttermale und Ekzeme. Jeder Körper, so schien es, war von dem jeweiligen Leben gezeichnet. Ich ließ den Blick an meinem Körper hinabgleiten, und plötzlich, vielleicht zum ersten Mal, gefiel mir der warme Teint meiner Haut. Auch bemerkte ich, dass mein Gewebe straff und glatt war, die Haut makellos. Immer hatte ich sie für zu dunkel und unattraktiv gehalten im Vergleich zu dem perlweißen, creme- oder alabasterfarbenen Teint der Angelsachsen meiner Heimat. Ich fuhr mit der Hand über die Schenkel und staunte über die seidene Textur meiner Haut, nachdem sie so gründlich abgeschrubbt worden war. Dann rieb ich mir über die Arme und ließ die Hände auf den Schultern verweilen.
Niemand schenkte mir Beachtung, nahm Notiz von meinem hinkenden Gang. Ich war einfach nur eine Frau von vielen, an deren Körper das Leben ebenso Spuren hinterlassen hatte wie an den anderen auch.
Mena kam zu mir und setzte sich neben mich. Ich lächelte sie an, und sie lächelte ebenfalls. Sie betrachtete meine Beine und deutete auf das rechte, indem sie etwas sagte. Da ich nicht wusste, wie ich auf Arabisch erklären sollte, dass mein weher Fuß die Folge einer Kinderlähmung sei, sagte ich einfach nur: Ich Kind sehr krank. Da nickte sie und hob ihr Haar im Nacken hoch, um mir eine tiefe, schlecht verheilte Narbe zu zeigen. Das arabische Wort für Vater, das sie benutzte, war mir bekannt, doch der Sinn eines anderen Wortes, das sie mehrmals mit finsterer Miene wiederholte, erschloss sich mir nicht, sodass ich nicht begriff, was sie mir sagen wollte.
Dann machte sie eine Geste, als würde sie ein Kind in den Armen wiegen, und ich begriff, dass sie mich fragte, ob ich Kinder hätte. Ich sah ihr ins Gesicht, und aus unerfindlichem Grund sagte ich Ja und legte die Hand auf den Bauch, um dann gen Himmel zu deuten, in der Hoffnung, dass sie mich verstehen würde.
Das tat sie. Sie ahmte meine Gebärde dreimal nach.
Drei? Hatte sie drei Fehlgeburten gehabt oder waren drei Kinder gestorben? Aber sie war ja noch so jung. Unwillkürlich legte ich die Hände auf ihre und drückte sie. Sie erwiderte die Geste, und plötzlich traten mir Tränen in die Augen.
Ich hatte meinen Verlust mit niemandem geteilt, abgesehen davon, dass ich Manon von meiner Fehlgeburt erzählte, nachdem sie mich der Lüge bezichtigt hatte. Und jetzt, da ich meine Trauer nicht in Worten auszudrücken vermochte, riss die alte Wunde wieder auf. Ich wusste, dass Mena verstand, was ich empfand, und ich wusste, wie sie sich fühlte. Ihre Augen wurden ebenfalls feucht, während sie noch immer meine Hände hielt.
Ich spürte, dass sie mich gernhatte, und mit einem Mal wurde auch mir warm ums Herz. Der nicht mehr junge Mann mit der welken Haut an den Unterarmen kam mir in den Sinn, ihr Ehemann, und ich stellte mir vor, wie er sie nachts in ihrem Bett aufsuchte. Ich stellte mir vor, wie sie Tag für Tag den argwöhnischen Blick der strengen Nawar ertragen musste, die ihre Macht als erste Frau im Haus geltend machte und die jüngere, hübsche Frau gewiss nicht mit offenen Armen empfangen hatte.
Wo lebte Menas Familie? Liebte sie ihren Mann, oder war ihre Ehe arrangiert worden? Woher rührte die tiefe Narbe in ihrem Nacken? Warum hatte sie drei Kinder verloren? Würde sie weitere Kinder bekommen? Sie ließ meine Hände los, tätschelte mir den Unterarm, und ich trocknete mir mit dem Zipfel meines Badetuchs das Gesicht.
Seite an Seite saßen wir da, und unsere Schultern berührten sich. Nachdem die Tränen versiegt waren, überkam mich eine tiefe Ruhe. Wie merkwürdig, dachte ich, da musste ich um die halbe Welt reisen, um die einzige Freundin zu finden, die ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr gehabt hatte – eine junge verheiratete Marokkanerin.
Eine große Ruhe überkam mich. Seit dem Tag, da ich Etienne von meiner Schwangerschaft erzählt und mich dann auf diese verwirrende, furchterregende und bisweilen auch gefährliche Reise begeben hatte, war ich von den Ereignissen überwältigt worden. Ich hatte wochenlang eine so große Unsicherheit verspürt, die nun allmählich nachließ.
Ich dachte daran, wie dieses neue Gefühl des Loslassens begonnen hatte, als ich Aszulay beobachtete, wie er dem Vogelgeträller lauschte, und wie es sich später festigte, als ich auf dem Dach in der Sonne lag und mir Badous und Falidas Gesichtsausdruck ins Gedächtnis rief, nachdem ich ihnen eine Kleinigkeit gekauft hatte – Badou ein weiteres Buch und Falida ein
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